WHO mit Behandlungsbedarf

Weltgesundheitsorganisation muss mit wenig Geld die eigenen Strukturen reformieren

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Einmal jährlich tagt das oberste Entscheidungsgremium der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Bei der diesjährigen Generalversammlung der 194 Mitgliedstaaten, die am Montag in Genf begann, sorgt die Wahl des neuen Generaldirektors für besondere Aufmerksamkeit. Neben der Personaldebatte steht auch die finanzielle und bürokratische Misere der UN-Organisation mit Sitz in Genf im Fokus.

Nach anderthalbjährigem Wahlkampf hatte sich der Kandidat der Afrikanischen Union, der Biologe Tedros Adhanom Ghebreyesus, durchgesetzt - weniger wegen seiner Erfahrungen als früherer Gesundheitsminister Äthiopiens und Malariaforscher, sondern aufgrund des politischen Proporzes. Vor wenigen Wochen war nämlich der Deutsch-Brasilianer Achim Steiner zum Chef des UN-Entwicklungsprogrammes (UNDP) ernannt worden, womit die Chancen für Tedros britischen Konkurrenten David Nabarrao sanken. Auch die dritte Kandidatin, die pakistanische Kardiologin Sania Nishtar, hatte schlechte Karten, denn der oberste WHO-Posten sollte nicht erneut an eine Vertreterin aus Asien gehen - die Hongkong-Chinesin Margaret Chan hatte die Gesundheitsorganisation zehn Jahre lang geführt. In ihren Programmen unterschieden sich die Kandidaten kaum: Sie setzen sich für ein Menschenrecht auf bezahlbare Gesundheitsversorgung ein, wollen sich auf die Bekämpfung der Armutskrankheiten konzentrieren und versprechen, schneller auf globale Gesundheitsrisiken zu reagieren.

Die Frage bleibt aber, wie und ob solch große Aufgaben mit der WHO in ihrer vorhandenen Struktur und Finanzierung gelöst werden können. Erst vor einer Woche war bekannt geworden, dass die Organisation trotz knapper Mittel mehr Geld als erlaubt für Reisekosten ausgibt. Offenbar missachten Mitarbeiter gerade eingeführte Richtlinien und gönnen sich weiter Business-Class-Flüge und Fünf-Sterne-Hotels, wogegen bisher auch nicht eingeschritten wird. Das dürfte die Glaubwürdigkeit von Spendenaufrufen nicht erhöhen, zumal die Gesamtreisekosten von 200 Millionen Dollar pro Jahr über den Budgets zur Bekämpfung einzelner Krankheiten liegen. So wurden zuletzt 71 Millionen Dollar für die Bekämpfung von Aids oder Hepatitis und 61 Millionen Dollar für Malaria ausgegeben.

Die Aufgaben der WHO sind seit ihrer Gründung 1948 stark gewachsen. Dabei war aber nie ganz klar, welcher Ansatz verfolgt wird: Geht es darum, Gesundheit als umfassendes Gut mit vielen, auch sozialen Einflussfaktoren zu verstehen, oder um die gezielte Bekämpfung einzelner Krankheiten mit medizinisch-technischen Mitteln? So geschah beides gleichzeitig, die Zahl der Programme wuchs mit den Sponsoren, die wiederum Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung nahmen. Beispielhaft für diese Problematik steht die Globale Allianz für Impfstoffe und Immunisierung (GAVI). Dieses WHO-Projekt wird als öffentlich-private Partnerschaft zu 75 Prozent (mit 750 Millionen US-Dollar) von der »Bill und Melinda Gates Stiftung« finanziert.

Kritiker beanstanden die Unübersichtlichkeit der Strukturen, die schwierige Koordination, ausufernde Bürokratie und ständige interne Konkurrenz. Konkurrenz kommt auch von außen. Als in den 1980er Jahren HIV/Aids als internationales Gesundheitsproblem erkannt wurde, verlor die WHO bald die Handlungshoheit. 1996 gründeten die Vereinten Nationen UNAIDS, ein Programm, das von neun UN-Organisationen unterstützt wird - unter anderen von der WHO.

Bekannt ist die WHO dafür, dass sie als einzige internationale Organisation globale Gesundheitskrisen definieren darf, etwa durch Ausrufen von Pandemien. Gerade dabei versagte sie zuletzt: Bei der Schweinegrippe 2009 in Mexiko schlug man überhastet Alarm mit deutlichen finanziellen Folgen für viele Staaten, während die Ebola-Krise 2014 in Westafrika lange unterschätzt blieb. Das Versagen wird auf mangelnde Akzeptanz durch die Mitgliedstaaten, ein nicht funktionierendes Warnsystem und fehlende Mittel zurückgeführt. Der neue Generaldirektor steht vor der schwierigen Aufgabe, mit knappem Geld den Reformstau zumindest anzugehen.

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