Wind von den Kandilbergen
Jugendkonferenz in Hannover: Der Demokratische Konföderalismus soll junge Europäer und Europäerinnen das Rebellieren lehren
Die rund 3000 Kilometer, die zwischen dem kurdischen Kandilgebirge und Deutschland liegen, sind bei dieser Hannoveraner Jugendkonferenz kaum zu spüren: Im örtlichen kurdischen Kulturzentrum diskutierten am letzten Maiwochenende rund einhundert junge Vertreter*innen verschiedener linker Jugendorganisationen aus Frankreich, Großbritannien, Katalanien, Kurdistan die Ideen, die im Kandilgebirge, dem Rückzugsort und Zentrum der Befreiungsbewegung Kurdistans, entwickelt wurden. Hinter dem Podium hängt ein großes rotes Transparent, »Demokratische Moderne statt G20« ist darauf zu lesen, darüber eine Linie, die die Umrisse von Bergen zeigt und in die Skyline einer Stadt mündet.
Das Motto der Konferenz: »Wie leben? Was tun? Wo anfangen?« Vor allem die Jugend müsse auf diese Fragen eigene Antworten geben, erklärt eine junge Frau auf dem Podium. Sie steht den Selbstverwaltungsstrukturen in Rojava (Nordsyrien) nahe.
Dort kam es 2012 inmitten der Wirren des syrischen Krieges zur Revolution, die mehrheitlich kurdische Bevölkerung baut seither basisdemokratische Selbstverwaltungsstrukturen auf. Mit der Eroberung von Manbidsch und dem Vormarsch auf die Syrische Dschihadisten-»Hauptstadt« Rakka weitete sich Rätesystem auch auf andere, mehrheitlich arabische Teile Syriens aus.
Zur Konferenz kamen neben den Vertreter*innen diverser deutscher Jugendgruppen auch Aktivist*innen von größeren Zusammenhängen, darunter die katalanische Organisation Arran und die Freiheitliche Jugend Kurdistans, Ciwanen Azad. Sie wollten herausfinden, was die Jugend Europas von der Befreiungsbewegung Kurdistans lernen kann. Der Begriff Jugend wird in diesem Zusammenhang mehr als soziologische Kategorie, denn als Altersgruppe verstanden.
Der Demokratische Jugendkonföderalismus – die Bezeichnung ist den Ideen des PKK-Mitbegründers Abdullah Öcalans entlehnt – fordert die Jugend auf, ihre eigenen autonomen Strukturen aufzubauen. Umsetzung findet dieses Prinzip bereits in Rojava, wo Jugendliche mit eigenen Delegierten in den basisdemokratischen Rätestrukturen vertreten sind.
Mit dem »Manifest der Jugend« hat die Befreiungsbewegung vor einigen Wochen auch eine Streitschrift vorgelegt, die als Ideengeber für eine neue revolutionäre Jugendbewegung in Europa dienen soll. In dem Buch wird auch die Unterdrückungsgeschichte der Jugend, begonnen von den sogenannten Lustknaben im antiken Griechenland bis hin zur Zurichtung im heutigen Bildungssystem, beschrieben. Dort wird aber ebenso analysiert, wie sich Widerstände gegen die patriarchale Herrschaft der alten Männer formierten.
Auch in der Bundesrepublik formieren sich bereits einige Jugendgruppen, die sich an diese Ideen orientieren. »Wir können da viel lernen!«, sagt eine Aktivistin aus Hamburg, »die Befreiungsbewegung Kurdistans ist immerhin weltweit die größte revolutionäre Bewegung. Wenn sich das Rätesystem dort ausweitet und die Ideen hier Verbreitung finden, dann hat Rojava das Potenzial, die globalen kapitalistischen Verhältnisse umzuschmeißen«, ist die Hamburgerin überzeugt.
Man dürfe die Unterdrückung von Jugendlichen, Frauen und Ethnien nicht getrennt voneinander betrachten, erklärt Mohammed, ein britischer Aktivist, auf dem Podium. Nicht umsonst habe Abdullah Öcalan die Frau als »erste Kolonie der Menschheitsgeschichte«, und die patriarchale Familie als den »kleinen Staat des Mannes« bezeichnet.
»Die Revolution ist weiblich« lautet deshalb ein Slogan der Befreiungsbewegung Kurdistans, er wird bei den Protesten gegen G20 auch auf Transparenten zu lesen sein. Die Stimmung ist euphorisch, als die Sprache auf die Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg kommt – dorthin werde man gemeinsam mobilisieren, heißt es auf der Konferenz.
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