Bei Behandlungsfehlern wird der Anspruch auf Schadenersatz erleichtert

Urteil des Bundesgerichtshofs

  • Lesedauer: 4 Min.

Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 13. Februar 2017 veröffentlichten Urteil (Az. VI ZR 239/15). Der Arzt oder seine Haftpflichtversicherung müssen nicht erst der Schlichtung zustimmen.

Geklagt hatte ein Mann aus Thüringen, der im Mai 2007 von einer Zecke gebissen wurde. Dabei infizierte er sich mit Borrelioseerregern. Der behandelnde Orthopäde erkannte das nicht. Die Krankheit löste bei dem Mann Arthritis in nahezu allen Körpergelenken aus, was erst 2008 von Spezialisten korrekt diagnostiziert worden war.

Ende 2011 verlangte der Patient kurz vor Ablauf der Verjährung Schadenersatz und stellte bei der Schlichtungsstelle der norddeutschen Ärztekammern einen Schlichtungsantrag. Die Haftpflichtversicherung des Arztes lehnte das ab. Eine Schlichtung müsse laut Gesetz »einvernehmlich« erfolgen, hieß es zur Begründung. Der Orthopäde habe der Schlichtung aber erst im Februar 2012 zugestimmt, als mögliche Ansprüche bereits verjährt waren.

Dem widersprach nun der Bundesgerichtshof. Denn bereits mit dem Antrag auf eine Schlichtung werde die Verjährungsfrist von drei Kalenderjahren gehemmt.

Der Kläger habe mit seinem Antrag vom Dezember 2011 damit noch rechtzeitig Ansprüche geltend gemacht. Zwar müsse ein Schlichtungsverfahren nach dem Gesetz »einvernehmlich« zwischen den Parteien beschlossen werden. Dieses Einvernehmen werde aber »unwiderleglich vermutet«, wenn es sich um eine »branchengebundene Gütestelle« handelt. Das sei bei den Schlichtungsstellen der Ärztekammern der Fall. epd/nd

OLG: Bei Änderung der Behandlung muss Klinik vollständig aufklären

Wenn während einer Nierenoperation bei einem achtjährigen Kind eine andere Behandlung nötig ist, müssen die Eltern über die veränderte Situation vollständig aufgeklärt werden. Stellt ein Arzt dann die Entfernung der Niere aber als einzige mögliche Behandlung dar, obwohl eine spätere nierenerhaltende Operation möglich ist, sei die Aufklärung nicht ausreichend.

Das erklärte das Oberlandesgericht (OLG) Hamm am 23. Februar 2017 (Az. 3 U 122/15) und sprach dem Patienten ein Schmerzensgeld zu.

Im konkreten Fall litt der 2004 geborene Kläger unter anderem an einem erweiterten Nierenbecken-Kelchsystem, dadurch hatte eine Niere nur noch 22 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit. Bei einer Operation sollte eine neue Verbindung zwischen dem Nierenbecken und dem Harnleiter hergestellt werden. Während der Operation stellte sich heraus, dass dies anatomisch nicht möglich sei.

»Diese Situation habe eine neue Aufklärung und eine neue Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern des Klägers erfordert«, erklärte das Oberlandesgericht. Dies hätten auch die behandelten Ärzte so gesehen, da sie die Operation unterbrachen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Die Aufklärung sei aber defizitär gewesen, so die Richter. Denn die Ärztin empfahl die sofortige Nierenentfernung als einzige Möglichkeit. Einem Gutachter zufolge wäre jedoch auch eine mit höheren Risiken verbundene, spätere nierenerhaltende Operation möglich gewesen.

Dafür hätten die Ärzte die Operation abbrechen können, erklärte das Gericht. Für eine Übergangszeit wäre eine äußere Harnableitung möglich gewesen, so dass die Eltern über mögliche andere Wege der Nierenerhaltung hätten informiert werden können. Da die gebotene Aufklärung gefehlt habe, sei die Einwilligung der Eltern zur Entfernung der Niere unwirksam und somit ein rechtswidriger Eingriff.

Das Oberlandesgericht sprach dem Kläger somit in zweiter Instanz 12 500 Euro Schmerzensgeld zu. epd/nd

OLG: Krankenhaus haftet bei Fenstersturz von dementer Patientin

Ein Krankenhaus muss unter Umständen haften, wenn ein dementer Patient aus dem Fenster springt. Das Krankenhaus sei dazu verpflichtet, Patienten vor Schäden und Gefahren zu schützen.

Das entschied das Oberlandesgericht Hamm in einem am 19. April 2017 veröffentlichten Urteil (Az. 26 U 30/16).

Bei einem dementen Patienten, der sich unberechenbar verhalte, müsse auch mit einem Fluchtversuch durch das Fenster gerechnet werden, so das Gericht, und verurteilte das Krankenhaus zu Schadenersatz gegenüber einer Krankenkasse, nachdem eine Patientin aus einem ungesicherten Fenstern sprang.

Die demente Frau wurde im Jahr 2011 wegen eines Schwächeanfalls in ein Krankenhaus eingewiesen. Am Aufnahmetag war sie nach Gerichtsangaben unruhig, aggressiv und desorientiert. Sie habe die Station verlassen wollen. Die Patientin sei mit Medikamenten ruhig gestellt worden.

Um die Patientin am Weglaufen zu hindern, verstellten Krankenschwestern die Tür des Krankenzimmers von außen mit einem Krankenbett. Die Frau kletterte am dritten Behandlungstag aus dem Zimmerfenster und stürzte fünf Meter tief auf ein Vordach.

Den Angaben zufolge erlitt die Patientin durch den Sturz erhebliche Verletzungen und wurde in einer anderen Klinik behandelt. Von dort aus kam sie in ein Pflegeheim, in dem sie später starb.

Die Krankenkasse klagte auf die Erstattung der Behandlungskosten der Unfallfolgen in Höhe von mehr als 90 000 Euro. Das Oberlandesgericht bestätigte den Schadenersatzanspruch und änderte das Urteil der Vorinstanz ab. Das Krankenhaus hätte die Patientin am Öffnen des Fensters hindern oder sie in einem Zimmer im Erdgeschoss unterbringen müssen, erklärten die Richter. epd/nd

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