Abzug der Bundeswehr aus Incirlik steht bevor
Türkei verweigert gegenüber Außenminister Gabriel Besuchsrechte für deutsche Abgeordnete / Ankara droht Gülen mit Ausbürgerung
Ankara. Nach dem gescheiterten Einigungsversuch im Streit um Besuche bei den Bundeswehr-Soldaten im türkischen Incirlik fordern deutsche Politiker fraktionsübergreifend rasche Konsequenzen. »Die Bundeswehr muss nach diesem neuerlichen Affront der türkischen Regierung sofort aus Incirlik abgezogen werden«, verlangte LINKE-Ko-Vorsitzender Bernd Riexinger. Aus Sicht der sicherheitspolitischen Sprecherin der Grünen, Agnieszka Brugger, hat sich die Bundesregierung »mit ihrem Spiel auf Zeit blamiert und ist mit ihrem Kurs der Gutgläubigkeit völlig gescheitert«.
»Die Bundesregierung hat nun die Pflicht, dem Bundestag mitzuteilen, ob unsere sicherheits- und außenpolitischen Ziele, die Deutschland mit der Stationierung der Aufklärungstornados in der Türkei verfolgt, auch von einem anderen Standort aus ohne Einschränkungen erfüllt werden können«, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Norbert Röttgen (CDU), dem »Spiegel«. »Wenn es eine gleichwertige Alternative gibt, ist die Verlegung aus Incirlik die richtige Entscheidung.«
Die SPD-Fraktion hatte die Regierung schon vorige Woche aufgefordert, die Verlegung der deutschen Soldaten einzuleiten. CDU und CSU wollten zunächst die Gespräche von Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) in der Türkei abwarten. »Jetzt, wo das Ergebnis vorliegt, muss die Union ihre Blockade beenden, damit der Bundestag in der nächsten Sitzungswoche den Abzug der Bundeswehr beschließen kann«, sagte der außenpolitische Fraktionssprecher Niels Annen dem »Spiegel«.
Gabriel teilte am Montag nach einem Gespräch mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu in Ankara mit, die Türkei werde kein grundsätzliches Besuchsrecht für Bundestags-Abgeordnete bei den deutschen Soldaten in Incirlik gewähren. Der SPD-Politiker machte deutlich, dass es zu einem Abzug jetzt keine Alternative mehr gebe. Ähnlich äußerten sich FDP-Chef Christian Lindner und der Vize-Vorsitzende der AfD, Alexander Gauland.
In Incirlik sind rund 260 deutsche Soldaten mit ihren »Tornado«-Aufklärungsflugzeugen und einem Tankflugzeug stationiert. Nach einem Abzug sollen sie sich von Jordanien aus am Krieg gegen die Miliz Islamischer Staat beteiligen.
Nach Angaben des Auswärtigen Amtes begründete die türkische Regierung das jüngste Besuchsverbot für deutsche Abgeordnete damit, dass Deutschland türkischen Offizieren Asyl gewährt hat. Ankara beschuldigt die Soldaten, Angehörige der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen zu sein, den Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan für den Putschversuch vom Juli vergangenen Jahres verantwortlich macht.
Unterdessen droht die Regierung in Ankara damit, den in den USA lebenden Gülen auszubürgern. Der Prediger steht auf einer am Montag vom Innenministerium im Staatsanzeiger veröffentlichten Liste von 130 Türken, denen schwere Straftaten vorgeworfen werden und die sich im Ausland aufhalten. Wenn sich die Betroffenen nicht innerhalb von drei Monaten den Behörden in der Türkei stellen, wird ihnen die Staatsbürgerschaft aberkannt. Agenturen/nd
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