Die Schuld des Penis am Klimawandel

Ein satirischer Gender-Artikel führt den Wissenschaftsbetrieb vor, meint Nicole Gohlke , aber nicht die Geschlechterwissenschaften

  • Nicole Gohlke
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit ihrem Aufsatz »Der konzeptionelle Penis als gesellschaftliches Konstrukt« haben die US-amerikanischen Philosophen Peter Boghossian und James Lindsay für viel Aufregung gesorgt. Die dem Titel nach eigentlich offensichtliche Fake-Studie schaffte es durch einen Begutachterprozess und wurde tatsächlich in einem sozialwissenschaftlichen Fachjournal veröffentlicht.

Die Autoren wollten mit ihrer satirischen Arbeit den Wissenschaftsbetrieb und sein Publikationswesen vorführen, und das ist ihnen auch gelungen. Dass in einem wissenschaftlichen Fachblatt die männlichen Genitalien als »fundamentale Triebkraft des Klimawandels« bezeichnet werden können, offenbart die aktuellen Schwächen des Wissenschaftssystems.

Der Vorgang ist beispielhaft für vieles, was im Wissenschaftsbetrieb derzeit falsch läuft. Angefangen mit dem Offensichtlichen: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben eine eigene Sprache, wie andere soziale Gruppen auch. Doch die wissenschaftliche Sprache ist nicht nur kompliziert und oft unverständlich für all jene, die sich noch nicht mit dem behandelten Gegenstand auseinandergesetzt haben, sondern manchmal leider auch standesdünkelhaft und gewollt exklusiv. Statt des Bemühens, den wissenschaftlichen Gegenstand möglichst allgemeinverständlich zu formulieren, um auch Menschen jenseits der Community zu erreichen, überwiegen oft unbekannte Fremdwörter, lange Schachtelsätze und Substantivierungen, die schnell den Eindruck von Kompetenz und Bedeutsamkeit erwecken - selbst wenn der Inhalt manchmal mehr als dünn ist. So gibt es im Gender-Aufsatz der beiden Philosophen eine Menge schwer verständlicher, aber im Kern nichtssagender Sätze. Bei den Gutachtern haben sie ihre Wirkung nicht verfehlt.

Der Profilierungsdruck unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird genährt durch das ausgeprägte Konkurrenzsystem im neoliberalen Wissenschaftsbetrieb. Bedarfsgerecht finanziert ist erst einmal nichts, und im Kampf um die Drittmittel werden die Ellenbogen ausgefahren. Befristete Stellen sind der Dauerzustand. Wer im Wissenschaftsbetrieb arbeitet, steht unter einem immensen Druck, möglichst viel zu veröffentlichen. Das treibt bisweilen sonderbare Blüten.

Wissenschaftliche Leistung wird heute vorrangig an der Anzahl und dem Ort der Veröffentlichungen gemessen. Das treibt einige dazu, nicht-prestigeträchtige Ergebnisse unter den Tisch fallen zu lassen, obwohl sie wissenschaftliche Bedeutung hätten - oder aber aufzubauschen und hinter einer möglichst unverständlichen Sprache zu verstecken. Hauptsache, der Artikel geht raus und der Ein-Jahres-Vertrag wird doch noch einmal verlängert.

Aber auch der Gegenstand dieser wissenschaftlichen Realsatire spricht für sich: Ausgerechnet die »Gender Studies« mussten die beiden Autoren als Folie für die Unsinnigkeit wissenschaftlicher Forschung heranziehen. Im Interview mit der FAZ behauptete der Fake-Autor James Lindsay, dass die Geschlechterwissenschaften zu Teilen keine Wissenschaft seien.

Wäre es nicht angebrachter aufzuzeigen, dass kein einziger Mainstream-Ökonom oder Ökonomin die weltweite Finanzkrise erklären, geschweige denn absehen konnte? Wäre es nicht angebrachter zu fragen, warum trotz des Aufstiegs der Neuen Rechten noch immer rassistische und wissenschaftlich schon lange widerlegte Stereotype in der Biologie, Geschichtswissenschaft oder Ethnologie gelehrt werden?

Wissenschaft ist eben auch ein Ort ideologischer Auseinandersetzungen. Wer gegen die Sinnentleerung und Abgehobenheit in der Wissenschaft anschreiben will, sollte sich nicht die Gender Studies aussuchen. Denn die waren in den letzten Jahren - im Gegensatz zu anderen Wissenschaftssträngen - der Ausgangspunkt feministischer und queerer Kämpfe zur realen Verbesserung der gesellschaftlichen Wirklichkeit.

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