In Berlin jibt’s Muckefuck

Theater an der Parkaue: »Die Réfugiés/Die Hugenotten«

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 4 Min.

Ludwig XIV. lümmelt auf dem Sofa, flößt sich und seinem Weibe Champagner ein. Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg steht der rüpeligen Art des französischen Herrschers etwas hilflos gegenüber. Auf Ludwigs politische Auswüchse hingegen reagiert er unbeirrt. Er lässt dem Edikt von Fontainebleau sein Toleranzedikt von Potsdam im Jahre 1685 folgen, um die Einreise von in Frankreich verfolgten protestantischen Hugenotten zu ermöglichen.

Auf einen lebhaften Lehrpfad zur Berliner Geschichte lädt das Theater an der Parkaue in den Prater junges Gemüse ab 14 Jahren ein. Die Herrscherbegegnungsszene gehört zu »Die Réfugiés/Die Hugenotten« - ausgewiesen als eine »Bricolage«, also Bastelarbeit in drei Teilen, unter künstlerischer Leitung des Intendanten Kay Wuschek und im Bühnenbild von Dominik Stillfried. Mit der Beschreibung nimmt sich das Theater selbst ein bisschen hoch, denn das freche jugendgemäße Spektakel will wohl auch so gesehen werden. Dementsprechend locker treten die acht Darsteller aus dem Ensemble neben drei Akteuren vom Jugendklub auf. Wissensvermittlung und Denkanstöße bestimmen das Thema Migration. Nein, Immigration, denn die damals an die Spree Geflüchteten wollten keineswegs weiterwandern. Sie blieben, ließen die durch den Dreißigjährigen Krieg dezimierte Einwohnerzahl Berlins um ein Drittel wachsen.

Es hagelt Fakten an diesem Theaterabend. Mitunter zu heftig, wenn im Rahmen einer Talkshow eine personifizierte Zukunft ankündigt, was bis zum Zweiten Weltkrieg noch alles an Unbilden zu erwarten ist. Als »Abendschule« in der Kastanienallee beginnt das Spektakel über 90 Minuten mit der sprachlichen Auseinandersetzung zum Begriff des Fremden. Geteilt erlebt das Publikum jeweils drei Programmteile. Während eine Gruppe unterm Dach etwas über die Flucht der Hugenotten ins Preußische erfährt, gerät die andere Gruppe auf der Hinterbühne in eine merkwürdige Situation.

Ihr wird nahegelegt, sich als Auserwählte unter super Bedingungen ins All schicken zu lassen, um Rohstoffe für die Zukunft der Menschheit auszukundschaften. Heiliger Zweck. Das ist der Lockstoff. Wer ist bereit, sich den vermeintlichen Wissenschaftlern, die sich vielmehr als kommerzorientiert Handelnde entlarven, zur Verfügung zu stellen? Zweifel kommen auf. Klingt nicht verlockend. 40 Jahre Hinflug, 40 Jahre Rückflug. Ein Leben weggegeben für was-weiß-ich-wen. Doch die Entscheidung treffen andere. Die Weltraumschleuser, bezahlt mit Ahnungslosigkeit, haben sich plötzlich verpfiffen. Tür zu. Ab geht’s. Einen haben sie vergessen. Der zeigt, was den Überrumpelten blüht.

Der Eiserne Vorhang öffnet sich natürlich wieder. Zettel werden wie Lose verteilt. Wer möchte, kann ein darauf befindliches Zitat von einem Pult aus verlesen. Zumeist sind es wohl Politikerworte. Was habe ich mir da aus dem Lostopf gezogen? Na klar: »Wir schaffen das.« Tja, warum eigentlich nicht? Die armen Hugenotten konnten es damals auch - mit toleranter Unterstützung und beträchtlichen Haushaltsmitteln aus dem preußischen Fürstentopf.

Reich beschenkten sie die Berliner dafür mit ihrem Einfluss auf Wissenschaft, Literatur, Küche und Sprache. Franz Carl Achard, Sohn einer in Berlin lebenden hugenottischen Familie, war Begründer der europäischen Rübenzuckerindustrie. Eine Straße und eine Schule tragen in Kaulsdorf seinen Namen. Den Namen des Hugenotten-Nnachfahren Theodor Fontane bringt heute jeder aus der Lamäng heraus. Sprachlich blieb bis heute viel am Berlinischen hängen, denn solcherart Anleihen nahm man gern auf - von adrett über blümerant bis Bouillon. David Kalisch ließ Eckensteher Nante sagen: »Entschuldigen Se, wenn ick manchmal en bißken Französisch unter meine Reden jieße.«

Im Theaterfoyer verlas eine »Hugenottin« ein Originalrezept, ohne es zu benennen. Klang vertraut. Klar, die Bulette. Auch daran erinnert der Hugenotten-Abend. Und da ist dann noch der Muckefuck, abgeleitet von »Mocca faux«, dem falschen Kaffee. Um nicht in die »Bredullje« zu geraten, also keinen Misserfolg (Bredouille) einstecken zu müssen, bauten lebenstüchtige Franzosen dafür Zichorie an. Der auf Extrasteuer erpichte Alte Fritz hatte ihnen »Kaffeeschnüffler« auf den Hals geschickt.

Nächste Vorstellungen: 15., 16. und 17. Juni im Prater, Kastanienallee 7-9, Prenzlauer Berg

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.