Die Zivilgesellschaft darf mitspielen
Beim Civil20-Gipfel überreicht die organisierte Zivilgesellschaft ihre Forderungen an die G20. An deren Politik wird das wenig ändern.
Drei Wochen vor dem G20-Gipfel treffen sich in der Hamburger HafenCity Universität Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft. In sechs Arbeitsgruppen wurden in den letzten Monaten Politikvorschläge für die G20-Regierungen erarbeitet. An diesem Montag sollen VertreterInnen von 200 Nichtregierungsorganisationen (NRO) aus 50 Ländern ihren Forderungskatalog an Bundeskanzlerin Angela Merkel überreichen, die nachmittags zudem eine Rede halten und an einer Podiumsdiskussion zur Gestaltung der Globalisierung teilnehmen wird. Das persönliche Erscheinen von Angela Merkel, die gegenwärtig die Vorsitzende der G20 ist, soll ein Signal setzen. Schon in einer Videobotschaft vom September 2016 unterstrich Merkel: »Ein starkes Augenmerk werden wir natürlich auch auf die Einbindung der Zivilgesellschaft legen«.
Mehr Beteiligung als sonst
Auf den ersten Blick scheint die zivilgesellschaftliche Beteiligung unter der deutschen G20-Präsidentschaft tatsächlich reibungsloser abzulaufen als in den Vorjahren. Da die Ausgestaltung des G20-Prozesses stark von der jeweiligen Präsidentschaft abhängt, die innerhalb der G20 rotiert, ist auch das Verhältnis zwischen G20 und C20 keineswegs stabil. Der offizielle C20-Prozess begann 2013 unter russischer Präsidentschaft. Die C20-Arbeitsgruppen wurden jedoch von der russischen Regierung unter Druck gesetzt. Dies gipfelte darin, dass die russische Regierung zunächst eine von ihr selbst formulierte und nicht mit den C20-Arbeitsgruppen abgestimmte Botschaft der Zivilgesellschaft an die Staats- und Regierungschefs vorlegte. Die australische G20-Präsidentschaft kürzte im Folgejahr die Mittel für den C20-Prozess und nahm das Thema der Finanzmärkte ganz von der Agenda. Der chinesische C20-Gipfel war nach der Aussage eines Teilnehmers zu etwa drei Vierteln von Organisationen mit Verbindungen zum chinesischen Staat besetzt.
Bei diesem C20-Gipfel scheint alles anders zu sein. Der entwicklungspolitische Verband VENRO und das Forum Umwelt & Entwicklung wurden von der Bundesregierung frühzeitig beauftragt, den C20-Prozess anzustoßen. Bereits im November 2016 wurde ein Koordinationsbüro in Berlin-Kreuzberg eingerichtet. Ein Großteil der Kosten wird von der Bundesregierung getragen. Bereits am 24. März fand ein Treffen mit den G20-Unterhändlern (»Sherpas«) statt. Die Forderungen der sechs C20-Arbeitsgruppen gehen durchaus über die Agenda der G20 hinaus. So fordert die Arbeitsgruppe zur »Reform der Finanzmärkte« etwa Schuldenschnitte und die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen.
Die G20-Politik ist unflexibel
Wird die Beteiligung der Zivilgesellschaft echte Spielräume für progressive Politikziele eröffnen? Das scheint mehr als fraglich, und zwar aus drei Gründen.
Erstens sind die Inhalte der G20-Verhandlungen ausgesprochen einseitig. Dafür steht beispielhaft die Formulierung von eigenständigen G20-Nachhaltigkeitszielen, die teilweise deutlich von den Nachhaltigkeitszielen der UNO im Rahmen der Agenda 2030 abweichen. Während letztere immerhin messbare Ziele wie die Halbierung der Armut benennt, setzt die »Nachhaltigkeitsagenda« der G20 einseitig auf Investitionsförderung und Privatisierung. Auch die Entwicklungs- und Afrikapolitik der G20 setzt vor allem auf Öffentlich-Private Partnerschaften und die Stützung von privatem Kapital. In den letzten Jahren wurden zwar neue Themen wie Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Gesundheit oder Geschlechterpolitik in die Agenda der G20 aufgenommen. Diese werden jedoch vor allem unter dem Gesichtspunkt betrachtet, ob durch sie Wachstumsrisiken entstehen oder neue Wachstumsquellen erschlossen werden können. Die G20 sind ein Organ zur Stabilisierung der in die Krise geratenen neoliberalen Globalisierung. Politikvorschläge der C20, die im Widerspruch zur Wachstums- und Investitionsförderung stehen, müssen an der G20 abprallen.
Alte Hierarchien existieren fort
Zweitens ist die Struktur der G20-Prozesse stark asymmetrisch. So gibt es neben den in der C20 versammelten NRO auch noch die »Business 20« (B20), eine Gruppe von Wirtschaftsverbänden aus den G20-Staaten, die selbstbewusstes Agenda-Setting betreiben. Deren Interessen fließen aufgrund des übergeordneten Ziels der G20, ökonomisches Wachstum zu fördern, viel einfacher in die Politikformulierung der G20 ein als die umwelt- und entwicklungspolitischen Ziele der NRO. Die Unternehmens-, Finanz- und Regierungsnetzwerke sind im G20-Prozess stark verflochten. Die B20 brachte seit 2010 über 400 Politikempfehlungen in die Agenda der G20 ein.
Zudem kann der C20-Zusammenschluss nur auf einen Teilbereich der G20-Politik Einfluss nehmen. Der gesamte G20-Prozess ist in einen »Sherpa-Track« und einen »Finance-Track« untergliedert. Ersterer wird von einem Unterhändler (»Sherpa«) der Regierungschefs geleitet und umfasst die »weichen« Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsthemen. Letzterer wird von den G20-Finanzministern und Zentralbankchefs geleitet und umfasst die »harten« Themen Finanzmarktregulierung, Währungs- und Fiskalpolitik, Infrastrukturinvestitionen und Besteuerung. Die Belange der C20 werden innerhalb des Sherpa-Tracks geregelt und so von zentralen regulativen und makroökonomischen Entscheidungsprozessen abgetrennt. Es ist daher unklar, wie die Forderungen der oben erwähnten C20-Gruppe zur Reform der Finanzmärkte überhaupt Eingang in die Politik der G20 finden können.
Die G20 verlieren an Bedeutung
Drittens werden die Prozesse der Politikaushandlung und -implementierung der G20 durch die Interessenkonflikte innerhalb der Staatengruppe in ihrer Effektivität eingeschränkt. Kompromisse in der G20 werden in ihrem Zustandekommen oder ihrer Umsetzung zunehmend erschwert. Neben dem Interessengegensatz zwischen den Industriestaaten und den aufstrebenden Ökonomien, die bereits eigene Strukturen internationaler Kooperation aufbauen, sorgt der aggressive Kurs der Trump-Administration für neue Konflikte. Die lapidare Aufkündigung des fertig verhandelten TPP-Abkommens, die angekündigte Aufweichung der Bankenregulierung und die Aufkündigung der ausgehandelten Klimaziele machen deutlich, dass der bisherige Konsens internationalen Regierens bröckelt. Die G20 scheint ihren Charakter als »Ort der Entscheidung« über globale Steuerungsfragen zunehmend einzubüßen.
Insgesamt sprechen die einseitigen Inhalte, ineffizienten Prozesse und asymmetrischen Strukturen der G20 dafür, dass die kontrollierte Einbindung der Zivilgesellschaft nicht zu einer wirklich progressiven Entwicklung beitragen kann.
Die Zivilgesellschaft als Legitimationsgehilfe
Weshalb ist die selektive Einbindung der Zivilgesellschaft für die deutsche G20-Präsidentschaft dennoch wichtig? Die Inklusionsrhetorik von Angela Merkel und der Fokus der deutschen G20-Präsidentschaft auf Klima- und Entwicklungsfragen lässt sich vor dem Hintergrund der fortschreitenden Repräsentationskrise verstehen, die knapp zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise die politischen Verhältnisse durcheinanderwirbelt. Der Wahlsieg Donald Trumps und das Brexit-Votum haben das Misstrauen weiter Bevölkerungsteile gegenüber dem etablierten Politikbetrieb offengelegt. Angela Merkel wird sich zwei Monate vor der Bundestagswahl vor der (Welt-)Öffentlichkeit als Verteidigerin einer Globalisierung mit geänderten Vorzeichen präsentieren. Auf der Internetseite der deutschen G20-Präsidentschaft heißt es: »Die G20 hat die Aufgabe, die Globalisierung zum Nutzen aller zu gestalten. Ziel ist es, die Vorteile der Globalisierung und weltweiter Vernetzung zu verstärken und breiter zu teilen. Die Bundesregierung setzt damit einen Gegenpol zu Abschottung sowie einer Rückkehr zum Nationalismus.«
Die Strategie ist also klar: Die neue Konfrontation mit den USA und weiteren autoritären Regierungsprojekten soll genutzt werden, um verlorengegangenes Vertrauen in das im Kern neoliberale Globalisierungsprojekt wiederherzustellen. Die organisierte Zivilgesellschaft ist wichtig für dieses Vorhaben. Fordert sie Seite an Seite mit der deutschen Bundesregierung gegen Trump und Co. die Umsetzung der Agenda 2030, kann sich Angela Merkel glaubhafter als Hüterin der liberalen Weltordnung in Szene setzen – ohne an ihrer Politik etwas zu ändern.
Eine eigene Strategie?
Dass es der Bundesregierung nicht wirklich um das Ermöglichen von Kritik an der G20 geht, zeigt die massive Repression und Kriminalisierung, der der Protest gegen die Politik der G20 bereits im Vorfeld des Hamburger Gipfels ausgesetzt ist. Das umfassende Versammlungsverbot und die über 15.000 PolizistInnen, die während des G20 Gipfels im Einsatz sein werden, sprechen für sich. Die selektive Einbindung der Zivilgesellschaft einerseits und die Exklusion und Kriminalisierung weiter Teile der GipfelkritikerInnen andererseits können als komplementäre Strategien der Gewährleistung eines reibungslosen Gipfelverlaufes interpretiert werden.
Anstatt sich zum Legitimationsgehilfen (neo-)liberaler Regierungschefs innerhalb der G20 und letztlich der G20 insgesamt zu machen, sollte die Opposition ihre eigene Strategie verfolgen. Es würde darum gehen, Strukturen aufzubauen, in denen eine Politik jenseits von Profitorientierung und Wachstumszwang überhaupt funktionieren kann. Dazu müsste jenseits der autoritären Abschottungspolitik von Trump und Co. und des neoliberalen Lagers um Angela Merkel, Emmanuel Macron oder Justin Trudeau eine genuin progressive Option sichtbar gemacht werden. Der G20-Alternativgipfel (»Gipfel für globale Solidarität«) könnte dafür einen Rahmen bieten.
Die Autoren
Samuel Decker ist Ökonom und bei der Organisation von Protesten gegen den G20 Gipfel im Juli in Hamburg beteiligt. Thomas Sablowski ist Referent für Politische Ökonomie der Globalisierung im Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Beide Autoren haben vor kurzem die Studie »Die G20 und die Krise des globalen Kapitalismus« publiziert. Die Studie ist bei der Stiftung bestellbar. Beide Autoren sind zurzeit auch an der Vorbereitung des »Gipfels für globale Solidarität« beteiligt, der am 5.-6. Juli als Alternativprogramm zum G20-Gipfel in Hamburg stattfindet.
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