Die Basis wird besänftigt
Bei ihrem Wahlprogrammparteitag gelingt es der Parteispitze der Grünen, einige Konflikte zu entschärfen
Auf dem Bildschirm ist ein Feld mit Sonnenblumen zu sehen, über dem die Sonne aufgeht. Davor steht Fraktionschef Anton Hofreiter wild gestikulierend auf der Bühne. Er verteidigt am Sonntagmittag zum Abschluss des Programmparteitags der Grünen in Berlin den Zehn-Punkte-Plan, der Schwerpunkte aus ihrem Wahlprogramm zusammenfasst. Sie sollen ein »Maßstab für eine grüne Regierungsbeteiligung« sein. »Unser Plan ist real und radikal«, verkündet Hofreiter. Auf die zehn Punkte haben sich führende Linke und Realos geeinigt. Nur einige Basisgrüne sind unzufrieden. Sie kritisieren, dass in dem Papier Beschlüsse zur Umweltpolitik zurückhaltend formuliert werden und einige soziale Forderungen der Partei wie die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen keine Rolle spielen.
Um die Delegierten zur Unterstützung zu bewegen, verspricht Hofreiter, mit seinen Parteikollegen in möglichen Koalitionsverhandlungen »für jede Zeile in unserem Wahlprogramm zu kämpfen«. Die Führung ist der Basis etwas entgegengekommen und hat ihren Plan verschärft. So sollen etwa Autos mit Verbrennungsmotor ab 2030 nicht mehr neu zugelassen werden. Daten waren im ursprünglichen Text vermieden worden. Letztlich setzt sich die Spitze der Grünen deutlich gegen zwei Alternativen durch, die von Basismitgliedern eingebracht worden sind.
Während der zwei Vortage wird bereits deutlich, dass die Grünen in Krisenzeiten mit schlechten Umfragewerten mehrheitlich ihrer Spitze folgen und größere Konflikte vermeiden wollen. Für Krach hätte am Samstagmorgen die Frage sorgen können, in welchem Jahr die Grünen den Kohleausstieg anpeilen. Der Bundesparteitag in Münster hatte vergangenes Jahr gegen den Willen des Vorstandes 2025 als Ziel ausgegeben. Dieser Beschluss wurde von der Parteispitze kassiert. Sie wollte die Kohlekraftwerke maximal zwölf Jahre länger laufen lassen und schrieb dies in den Programmentwurf.
In der Nacht zum Samstag einigt sich die Parteiführung mit einigen ihrer Kritiker, darunter die Bundesarbeitsgemeinschaft Energie, hinter den Kulissen. Den rund 850 Delegierten wird ein Papier vorgestellt, in dem es heißt, dass die 20 dreckigsten Kohlekraftwerke unverzüglich vom Netz genommen werden sollten. Der Kohleausstieg solle bis 2030 »gestaltet« werden. Um dem Kompromiss ein größeres Gewicht zu geben, wird er von Cem Özdemir verteidigt. »Katrin Göring-Eckardt und ich werden nur einen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem der Kohleausstieg drinsteht«, verspricht der Parteichef. Ein Antrag von Karl-Wilhelm Koch aus dem Kreisverband Vulkaneifel, der sich nicht nur wegen der Folgen für die Klimaentwicklung, sondern auch wegen der Landschaftszerstörung und des giftigen Quecksilbers schon 2025 von der Kohleenergie verabschieden will, ist bei der Abstimmung gegen das Kompromisspapier chancenlos.
Das spielt der Parteitagsregie in die Hände. Denn die dreitägige Konferenz soll auch eine Jubelveranstaltung für die beiden Spitzenkandidaten sein. Am Freitagabend ziehen Özdemir und Göring-Eckardt gemeinsam mit dem Chef der niederländischen Schwesterpartei GroenLinks, Jesse Klaver, unter lautem Beifall und Popmusikklängen in die Halle ein. Als Özdemir mit seiner Rede an der Reihe ist, versammeln sich hinter ihm die Kandidaten für die Bundestagswahl im September. »Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen«, ruft er. Als Ziele in einer Regierung mit grüner Beteiligung nennt Özdemir neben der Umweltpolitik die europäische Integration und Neueinstellungen bei der Polizei. Am Samstagmittag wiederholt sich das Szenario in leicht veränderter Form. Nun stehen zahlreiche Neumitglieder der wachsenden Partei hinter Göring-Eckardt, die erklärt, dass Umweltpolitik relevant sei, weil sogar »das deutsche Bier in Gefahr ist«. Ohne zu erwähnen, dass auch Landesregierungen mit Beteiligung der Grünen hieran beteiligt waren, fordert die Fraktionsvorsitzende, dass Abschiebungen nach Afghanistan beendet werden sollten.
Eigentlich wollte die Parteiführung auf rote Linien für eine Regierungsbeteiligung verzichten. Doch dem scheidenden Bundestagsabgeordneten Volker Beck gelingt es, die Ehe für alle als Bedingung in das Wahlprogramm zu schreiben. Mögliche Koalitionsverhandlungen mit der Union nach der Wahl im September würden somit schwieriger werden.
In der Innenpolitik deutet sich an, dass die Grünen zu Kompromissen bereit sind. Videoüberwachung könnte an »Gefahrenschwerpunkten« eine »ergänzende Maßnahme« sein, heißt es im Programm. Der Einsatz von V-Leuten soll »gründlich überdacht« werden. Vor der Bundestagswahl 2013 hatten die Grünen noch gefordert, gänzlich auf die Spitzel des Verfassungsschutzes zu verzichten.
Dies war eine Konsequenz aus dem NSU-Skandal und dem Versagen der Sicherheitsbehörden. Inzwischen wird die Kritik am Inlandsgeheimdienst bei den Grünen weniger scharf formuliert. In einem Antrag, den die Delegierten annehmen, heißt es, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz durch ein neues Amt zur Gefahren- und Spionageabwehr mit anderem Personal und Strukturen ersetzt werden solle. Was sich genau beim Geheimdienst ändern soll, bleibt allerdings unklar.
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