Albaniens Sozialisten: schnell in die EU
Gute Aussichten auf eine Fortsetzung des sozialliberalen Kursen nach der Parlamentswahl am Sonntag
Noch vor einem Monat galt es als ungewiss, ob die Parlamentswahlen in Albanien überhaupt fristgerecht stattfinden können. Die wirtschaftsliberale Opposition, allen voran die Demokratische Partei (PD) um Lulzim Basha, war entschlossen, die Urnen zu boykottieren. Ihre Anhänger protestierten täglich gegen die Regierung, der sie Korruption und Wahlbetrugsversuche unterstellten.
Ministerpräsident Edi Rama und seine Sozialistische Partei (PS) weigerten sich ihrerseits, die Rhetorik der Opposition ernst zu nehmen und taten die Vorwürfe grundsätzlich als haltlos ab. Erst in letzter Minute gelang es den Vermittlern aus Brüssel, die beiden verfeindeten Lager an einen Tisch zu bringen. Kurz davor hatte die deutsche Botschafterin Susanne Schütz erklärt, die Bundesrepublik sei selbst im Falle eines Boykotts bereit, das Wahlergebnis anzuerkennen. Dies wurde in Tirana als ein wichtiges Signal interpretiert, das die Verhandlungsposition der Sozialisten massiv stärkte und eine Kompromissvereinbarung ermöglichte.
Dabei sind die Sorgen der PD nicht gerade unberechtigt. Korruption bleibt natürlich ein großes Thema in Albanien, selbst wenn das Land - und die ganze Region - in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte beim Ausbau eines effizienten Justizsystems erzielt hat. Auch Stimmenkauf und andere Unregelmäßigkeiten sind nach wie vor eine Realität, vor allem in ländlichen Gegenden. Allerdings haben die Sozialisten weder auf Schmiergeldaffären noch kleine Wahlbetrügereien ein Monopol. Vielmehr handelt es sich um systemische Probleme, die Albanien ähnlich wie seine Nachbarländer seit der Wende begleiten und die nicht über Nacht aus der Welt geschafft werden können.
Vor diesem Hintergrund scheint die deutsche und europäische Westbalkanpolitik der letzten Jahre etwas realistischer geworden zu sein. Zwar werden die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit weiter betont, aber die frühere seltsame Überzeugung, dass die wirtschaftsliberalen Parteien unbedingt diese Prinzipien verkörpern sollen, während das linke Lager ein Symbol der Korruption sei, scheint ihre mysteriöse Anziehungskraft verloren zu haben. Stattdessen rücken Stabilität der Region und Fortsetzung des EU-Integrationsprozesses als Prioritäten in den Vordergrund.
Dieser neue Grundtenor aus Berlin und Brüssel wird es Ministerpräsident Rama aller Wahrscheinlichkeit nach ermöglichen, seinen sozialliberalen Kurs fortzusetzen. Die wirtschaftliche Bilanz der letzten vier Jahre fällt eher positiv aus, denn anders als etwa im instabilen Nachbarland Mazedonien wuchs die albanische Wirtschaft vor allem aufgrund europäischer Investitionen. Zwar ist mit fast 30 Prozent die Jugendarbeitslosigkeit noch immer ein massives Problem, aber auch hier steht Albanien deutlich besser da als viele andere Staaten der Balkanregion.
Die Hauptziele der PS für die nächste Legislaturperiode sind einerseits eine zügige Aufnahme konkreter Beitrittsverhandlungen mit der EU und andererseits eine Reduzierung der Unterschiede des Lebensstandards zwischen Albanien und seinen EU-Nachbarn Kroatien, Griechenland und Italien. Letzteres will Premier Rama durch eine spürbare Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns unter weiterer Ankurbelung des Wachstums erzielen, was mittelfristig auch Anreize für die Auswanderung abbauen würde.
Dieser Kurs reflektiert einen breiten gesellschaftlichen Konsens, den auch die wirtschaftsliberale PD nicht in Frage stellt. Dementsprechend verstehen viele Bürger nicht so richtig, warum sie die Sozialisten abwählen sollen, auch wenn sie Rama nicht besonders mögen.
Umfragen zufolge ist es unwahrscheinlich, dass die Sozialisten über die absolute Mehrheit der Parlamentssitze verfügen werden. Und da es in den letzten Jahren immer wieder zu Streitigkeiten zwischen der PS und ihren kleineren Koalitionspartnern von der Sozialistischen Integrationsbewegung (SIM) kam, könnte es sein, dass Albanien kurz nach der Wahl eine Überraschung bekommt - eine große Koalition.
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