Unliebsamer Auftritt für Bouffier

Am Montag wird Hessens Ministerpräsident im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtages gehört

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags zur Aufklärung der Rolle von Landesbehörden im Zusammenhang mit der Neonaziterrorbande NSU steht am Montag mit der Vernehmung von Regierungschef Volker Bouffier (CDU) ein mit Spannung erwarteter Höhepunkt auf der Tagesordnung. Bouffier war während des mutmaßlichen NSU-Mords an dem Kasseler Internetcafébetreiber Halit Yozgat am 6. April 2006 Innenminister und somit oberster Dienstherr für das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) wie auch für die ermittelnden Polizeibehörden.

An ihm haftet nach dem Stand der Untersuchungen der Vorwurf, dass er die Ermittlungen behindert und seine schützende Hand über den Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme gehalten habe. Temme befand sich bekanntlich zum Zeitpunkt des Mordes an Halit Yozgat in dessen Internetcafé in Kassel und war nach Stand der Ermittlungen des Ausschusses auch zumindest Zeuge der Tat. Er bestritt dies jedoch lange Zeit hartnäckig.

Für Bouffier steht viel auf dem Spiel. Der 65-Jährige möchte nach Stand der Dinge bei der nächsten hessischen Landtagswahl Ende 2018 noch einmal als Spitzenkandidat seiner Partei antreten. Ernsthafte Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit und Integrität als »Landesvater« kommen ihm dabei völlig ungelegen. So etwa die Tatsache, dass er Temme offenbar persönlich gekannt hat und ihm um die Jahrtausendwende mehrfach bei einem Grillfest des CDU-Arbeitskreises im LfV am Wiesbadener Rheinufer begegnet ist. In Temmes Handy war auch die Rufnummer des Kasseler CDU-Büros gespeichert.

»Volker Bouffier sollte als ehemaliger Minister und Verantwortlicher für den NSU-Skandal in Hessen am Montag endlich reinen Tisch machen«, fordert der Abgeordnete Hermann Schaus (LINKE). »Eine persönliche Entschuldigung gegenüber den Angehörigen des Opfers, gegenüber dem Parlament und gegenüber der Öffentlichkeit wäre mehr als angemessen.« Schließlich stehe nach drei Jahren Ausschussarbeit im Landtag fest, dass die Vorwürfe des Bundestages gegen Bouffier und seinen Geheimdienst mehr als berechtigt seien, so Schaus gegenüber »nd«.

Der NSU-Ausschuss des Bundestages war in seinem Abschlussbericht 2013 einstimmig zu der Schlussfolgerung gekommen, dass das hessische LfV und Bouffier die Aufarbeitung des Mords behindert hätten.

Man habe »die Opferfamilien auf schreckliche Weise kriminalisiert, die Ermittlungen der Polizei massiv behindert und die Realität des Rechtsterrors über Jahre hinweg geleugnet«, so Schaus. »Die Verantwortung dafür, dass der offensichtliche Zeuge des NSU-Mordes und Geheimdienstmitarbeiter Temme bei seinen Lügen geschützt und der Polizei die Vernehmung von V-Leuten untersagt wurde, trägt Volker Bouffier ganz persönlich.«

2006 regierte die Hessen-CDU mit absoluter Mehrheit. Damals wurde die Information über Temmes Anwesenheit am Tatort monatelang dem Parlament und insbesondere der für die Kontrolle des LfV zuständigen Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) vorenthalten.

Die hessische Linksfraktion, die sich energischer und mit mehr Personal als andere Fraktionen für eine lückenlose Aufarbeitung des Kasseler NSU-Mordes und der Vernetzung der rechten Szene in Hessen und angrenzenden Bundesländern einsetzt, hatte im März bei der Staatsanwaltschaft Kassel Strafanzeige gegen Temme wegen uneidlicher Falschaussage eingereicht.

Der Verfassungsschutzmitarbeiter hatte 2012 als Zeuge vor dem NSU-Ausschuss im Bundestag behauptet, dass die sogenannte »Ceska-Mordserie« für ihn und seine Behörde bis zum 21. April 2006 »dienstlich definitiv kein Thema« gewesen sei und dass er sich »privat und zufällig« in dem Internetcafé aufgehalten habe. Diese Aussagen sind inzwischen durch mühsame Recherchearbeit widerlegt. Die Kasseler Staatsanwaltschaft hat die Strafanzeige der Linksfraktion jüngst wie eine heiße Kartoffel an die Berliner Staatsanwaltschaft weitergeleitet.

Formale Begründung dafür dürfte das Tatortprinzip sein, insofern Temme die Falschaussage über den Kasseler Mord nicht in Kassel, sondern in Berlin getroffen hat. Temme soll Ende August erneut im Landtag befragt werden.

Dass Bouffier am Montag lückenlose Aufklärung betreiben und Verantwortung übernehmen werde, sei »leider nicht wahrscheinlich«, so Schaus. »Nach wie vor befinden sich Landesregierung und Geheimdienst auf Verschleierungskurs. Anträge auf Herabstufung wesentlicher Geheimakten werden seit Monaten blockiert«, so sein Fazit.

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