Von ganz oben

Pinkeln im Bankenturm

  • Mark-Stefan Tietze
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Führerin weiß interessante Geschichten zu erzählen. Von dem Wanderfalkenpaar zum Beispiel, das auch in diesem Jahr wieder sein Nest auf dem Dach der 55. Etage gebaut hat. Da die beiden Räuber ihre Beute im Flug schlagen, beherrschen sie den Himmel über der Stadt und besitzen von dieser höchsten Warte aus den privilegierten Zugriff auf Frankfurts Vogelwelt.

Kichernd erzählt die Führerin von einem Pressetermin zur Feier dieses Ökowunders. Gleich zu Beginn seien der Umweltdezernentin etliche beringte Vogelfüße in den Knochenhaufen rund um das Nest aufgefallen. Sie habe die anstößigen Beweisstücke schnell mit dem Schuh unterzukehren versucht, um die Tatsache zu vertuschen, dass die Falken nicht nur schmutzige Straßentauben, sondern gern auch nützliche und oftmals sehr teure Brieftauben wegschnabulieren. Leider zu spät.

Wir besichtigen den »Commerzbank-Tower«, der mit seinen 259 Metern ohne Antenne (und knapp 300 Metern mit) der höchste Wolkenkratzer Deutschlands ist. Vor zwanzig Jahren eingeweiht und mit allerlei umweltfreundlichen Raffinessen ausgestattet, zählt der Bau mit dem dreieckigen Grundriss gewiss zu den Wunderwerken menschlicher Kulturleistung. Vermutlich deshalb erzählt die Führerin so viel vom Kampf mit der Natur. Die nämlich wurde dem Turm architektonisch eingepflanzt, am augenfälligsten in den drei mal drei Wintergärten, die seitlich jeweils über vier Stockwerke hinweg angelegt sind und den Angestellten als Pausenräume mit Panorama dienen.

Die vielen Beete, Büsche und Bäume erfordern einen gehörigen Pflegeaufwand, mit ihnen gibt es stets Probleme. Sei es beim Abtransport eingegangener Palmen, die zerlegt und über die Aufzüge entsorgt werden müssen, sei es beim rätselhaften Schneckenbefall, über den die Führerin scherzt, möglicherweise hätten Mitarbeiter anderer Banken ihre Hand dabei im Spiel gehabt. Bis die Milben kamen, habe hier in der 39. Etage auch ein Kräutergarten existiert. In jener Zeit sei man in den Aufzügen in der Mittagszeit ständig Leuten begegnet, die aus der Kantine im Erdgeschoss hoch- und mit einem Rosmarinstengel in der Hand wieder runtergefahren seien.

Je höher uns die Science-Fiction-artigen Aufzüge tragen, desto pompöser wird die Sicht aus ihren bodentiefen Fenstern. Wie in solchen Hochhäusern üblich, erfolgt auch in diesem die Belegung der Stockwerke streng hierarchisch. Besonders grandios ist deshalb die Aussicht aus der höchsten Büroetage, in der der Vorstand haust. Hier, im 49. Stock, dürfen weder Kunstwerke noch Flipcharts fotografiert werden, dafür aber die berühmteste Herrentoilette Frankfurts.

Ihre Pissoirs sind in der Außenwand verbaut; durch die Fenster darüber genießt man einen wahrhaft herrschaftlichen Blick über die Stadt. Dessen wenig subtile, geradezu unverhohlene Symbolik lädt manche zum Lachen ein, andere wahrscheinlich zu immer demselben Traum: der Fresskonkurrenz in den übrigen Hochhaustürmen aufs Dach zu pinkeln, von ganz oben, und allen anderen einfach auf den Kopf - Natur in ihrer reinsten Form.

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