Gericht zweifelt an Abschiebungen nach Italien
Bundesverwaltungsgericht legt dem Europäischen Gerichtshof Asylantrag zur Prüfung vor
Die Bundesregierung hat die Gesetze zum Asyl- und Ausländerrecht in den letzten Jahren deutlich verschärft. Asylanträge sind als unzulässig abzulehnen, wenn Flüchtlinge aus einem sicheren Drittstaat eingereist sind. Das würde nach der Absicht der Gesetzgebung alle Einreisen auch aus EU-Staaten betreffen. Nun machte allerdings das Bundesverwaltungsgericht im März einen dicken Strich durch diese Rechnung.
Vor drei Monaten entschied der Erste Senat unter Vorsitz von Uwe-Dietmar Berlit, dass nicht alle EU-Mitgliedsstaaten darunter fallen (Az. 1 C 17.16 u. a.). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muss also bei allen Flüchtlingen, die aus EU-Ländern nach Deutschland einreisen, deren Anträge genau prüfen und kann sie nicht einfach als unzulässig ablehnen. Eine weitere Möglichkeit, Asylanträge abzulehnen, bot sich bislang, wenn Flüchtlinge in einem anderen EU-Land schon als Flüchtlinge anerkannt waren. Dies ist ebenfalls im Paragraf 29 des Asylgesetzes geregelt. Wird ein Asylantrag aus diesem Grund abgelehnt, hat es gleichzeitig zur Folge, dass der Flüchtling in das jeweilige EU-Land abgeschoben werden kann.
Nun hat wie schon im März der Erste Senat des Bundesverwaltungsgerichts Zweifel an dieser Regelung. In diesem Fall stellen die fünf Bundesrichter infrage, ob Asylanträge als unzulässig abgelehnt werden dürfen, wenn Flüchtlinge in einem anderen EU-Land zwar Flüchtlingsschutz erhalten haben, dort aber schlechte Lebensbedingungen herrschen (Az. 1 C 26.16). Deshalb setzten die Richter am Dienstag dieses Verfahren aus und legten dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur Klärung vor. Erst wenn die Luxemburger Richter dazu entschieden haben werden, wird das Revisionsverfahren in Leipzig fortgesetzt.
Die Fragen der Richter zielen darauf ab, ob Asylanträge als unzulässig abgelehnt werden und Geflüchtete damit in EU-Länder wie Italien abgeschoben werden dürfen, wenn die Lebensbedingungen in diesen EU-Ländern schlecht sind. Und zwar schlecht in dem Sinn, dass sie nicht den Anforderungen der EU-Anerkennungsrichtlinie von 2011 genügen, aber noch nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Ein solcher Fall entsteht dann, wenn in den EU-Ländern »keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen gewährt werden«, wie Richter Berlit es formulierte.
Außerdem wollen die Leipziger Bundesrichter von den Luxemburger Europarichtern wissen, ob eine fehlende Anhörung von Flüchtlingen bei der Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig gilt und dazu führt, dass diese Behördenentscheidung aufgehoben werden muss. Nach bisherigem deutschen Recht führt dies nicht zur Aufhebung des Bescheids.
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