Gottfriedstutz am Bodensee
Baden-Württemberg: Der Konstanzer OB will wegen einer Satire gegen einen linken Stadtrat vorgehen
»Gottfried Stutz« klingt wie ein Name, ist aber auch eine helveto-alemannische Redeweise, die in der Nordschweiz und Südbaden jeder kennt. »Gottfriedstutz!« steht für ein verstimmt-erstauntes »ja leck’ mich doch …!«. So steht es in Dialektlexika. Zudem heißt »Stutz« so viel wie »Kohle« oder »Knete«: »Fünf Stutz« sind fünf Franken oder Euro.
Das weiß auch Ulrich Burchardt, Oberbürgermeister von Konstanz am Bodensee. Immerhin ist der 1971 geborene CDU-Politiker ein »Frichtle«, also vor Ort geboren. 2012 wurde er als Unabhängiger gewählt - unmöglich, ohne das lokale Fasnacht- und Mundartwesen zumindest sprachlich zu verstehen. Doch nun hat Burchardt das Alemannische scheinbar über Nacht vergessen. Aus Ärger über Holger Reile, einen Stadtrat der »Linken Liste Konstanz« (LLK).
Der engagierte Kritiker des OB ist Publizist. Als solcher veröffentlichte er jüngst im Bodenseeblog »Seemoz« eine Satire. Darin ging es um einen angeblichen Verkauf des defizitären, vom OB protegierten Kongresszentrums »Bodenseeforum« an einen »Schweizer Möbelgiganten« namens »XXL Gottfried Stutz«.
Ortsansässigen erschließt sich sofort der satirische Charakter schon dieser Namensgebung: »XXL« spielt auf das tatsächlich existierende Möbelhaus gleichen Namens an, »Gottfried Stutz« nicht nur auf den Kraftausdruck, sondern auch auf den helvetischen Einkaufstourismus, der Konstanz seit Jahr und Tag in Atem hält. Zudem kommt ein »Ernesto Stronzo« vor. Der Nachname ist ein italienisches Kraftwort. Und Italienisch ist in der Stadt, von der es nach Mailand nicht weiter ist als nach Mannheim, schon lange sehr präsent. Der Text erschien unter dem Rubrum »schräg und schrill« - und war dort nicht die erste Satire zum »Bodenseeforum«. Zum 1. April wurde etwa eine Erdogan-Kundgebung angekündigt. Doch Burchardt will den Witz nicht verstehen. Bierernst erhob er jüngst in einer Gemeinderatssitzung juristische Drohungen gegen den Spötter. Der Text, der auch ihn selbst und andere Lokalgrößen fiktiv zitiert, sei nicht als Satire kenntlich. Er könne sich im Internet verbreiten und potenzielle Kunden verunsichern. Reile wolle dem »Bodenseeforum« gezielt Schaden zufügen. Er habe die gegen »Treuepflicht« eines Stadtrates verstoßen, alles zu unterlassen, »was den Gemeindeinteressen zuwiderläuft oder diese schädigen oder beeinträchtigen könnte«. Nun prüfe man ein Vorgehen gegen ihn. Näheres sagt Stadtsprecher Walter Rügert auch Tage später auf Nachfrage nicht. Er schickt nur einen Link zu einem Videomitschnitt des Statements des OB, der auf dem Stadtportal eingestellt ist.
Reile dagegen sieht seine Kritik am Bodenseeforum, dem erst kürzlich zusätzlich zum bereits eingepreisten Zuschuss von gut 900 000 Euro eine Finanzspritze von 1,7 Millionen Euro zugestanden wurde, umgekehrt gerade als ein Eintreten für das Gemeindeinteresse. Gegenüber »nd« sagt er, man müsse »Wagenräder vor den Augen haben«, um die Glossenrubrik bei »Seemoz« ernst zu nehmen. Der OB gebe sich gern locker. Doch »wenn man ihm kritisch kommt, schwillt ihm gleich der Kamm«.
Der Vorgang erinnert an eine Affäre aus dem Vorjahr. Damals war ein Redakteur des Regionalblattes »Südkurier« gemaßregelt worden, nachdem er kritisch über Stadtentwicklung und OB geschrieben hatte. Es ging um das Traditionskino »Scala«, das derzeit tatsächlich dem »Stutz« weicht: An seiner Stelle wird ein Drogeriemarkt eingerichtet, in dem sich absehbar vor allem Shoppingtouristen tummeln werden.
Der Journalist, so die Begründung für eine Abmahnung und die Versetzung in den Innendienst, habe gegen Sorgfaltspflichten verstoßen. Handfest beweisen ließen sich Zusammenhänge zwischen Kritik am Rathaus und dem Kaltstellen des Schreibers nie, inzwischen hat er einen anderen Job. Doch sorgte sich damals nicht nur die Landespresse in Gestalt etwa der »Stuttgarter Zeitung« um die Presse am See. Einer der wahrnehmbarsten Kritiker war der nun im Fokus stehende Holger Reile in einer Reihe von Artikeln - auch in dieser Zeitung.
Dass des Bürgermeisters Dünnhäutigkeit in Sachen Bodenseeforum eine Retourkutsche sein könnte, lässt sich nur mutmaßen. Abzuzeichnen scheint sich aber, dass Burchardt lokalpolitisch ein Eigentor geschossen hat. Mit Reile solidarisiert haben sich die Journalistenverbände dju und djv. Die Gewerkschaft ver.di kündigt an, ihn gegebenenfalls juristisch zu unterstützen. Der örtliche SPD-Fraktionschef ist sich »sicher«, dass »der Oberbürgermeister bei einer rechtlichen Auseinandersetzung scheitern« würde - und dies sei auch »gut so«. Ähnlich äußert sich die Freie Grüne Liste. Das »Junge Forum Konstanz« rät, »öfters mal« zu lachen. Die Freien Wähler fordern ein Treffen zwischen den Kontrahenten, um den Streit zu klären. Nur CDU und FDP schweigen bisher. Schwarz-Gelb stellt jedoch nur zwölf von 40 Stadträten.
Der OB braucht also Zustimmung aus anderen Listen - absehbar nicht zuletzt, um beispielsweise weitere finanzielle Zuschüsse für sein Lieblingsprojekt zu mobilisieren. Dieses hatte zunächst nur die Linke Liste rundheraus abgelehnt. Doch inzwischen macht sich auch in anderen Fraktionen Skepsis breit.
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