»Das ist ein Putsch der Polizei gegen die Justiz«

Polizei verbietet Schlafzelte beim »Antikapitalistischen Camp« in Hamburg / Verwaltungsgericht hatte Zeltlager erlaubt

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 4 Min.

Die ersten Aktivist*innen sind in Hamburg gestrandet. Tom und Evelyn kommen aus Dublin, um gegen den G20-Gipfel zu protestieren. »Ist ja nicht so weit, global betrachtet«, lacht Tom, »und der Kapitalismus kennt ja auch keine Grenzen. Die G20 machen uns das Leben und das Klima in Irland genauso kaputt wie euch hier in Hamburg.« Sie liegen in der Sonne - der Dauerregen hat am Nachmittag aufgehört - und legen ihren Köpfe auf die dicken Reiserucksäcke. Wo sie in der Nacht schlafen sollen, wissen sie noch nicht. Denn die gerichtlich erlaubte Campfläche in Entenwerder ist von der Polizei abgesperrt. Mit rund 200 anderen Aktivist*innen wartet das Pärchen auf einer Mahnwache an der Zufahrt zur Grünfläche. »Wir bleiben hier, bis wir unsere Zelte aufschlagen dürfen – oder geräumt werden!«, ruft ein Demonstrant vom Lautsprecherwagen. Die Menge jubelt. Und durch die Boxen dröhnt die gewohnte Mundharmonika vom autonomen Liedermacher Quetschenpaua.

Das Hamburger Verwaltungsgericht hatte am späten Samstagabend ein Camp in Entenwerder erlaubt – und zwar eines, das seinen Namen verdient: Nämlich ein Zeltlager mit echten Zelten. Zum Schlafen. Erstaunt mussten die Camper am Sonntag allerdings feststellen, dass die Polizei dem Gerichtsurteil nicht folgte. Die Grünfläche, die sich im Stadtteil Rothenburgsort rund drei Kilometer südöstlich der Hamburger Innenstadt befindet, wird seit Sonntagvormittag von der Polizei abgesperrt. Verwirrung herrscht unter den Organisatoren, die erst einmal eine Kundgebung an der Zufahrt anmelden. Erst als Hartmut Dudde, Einsatzleiter der Polizei, am Mittag vor Ort eintrifft, wird klar: Die Polizei verbietet das Camp tatsächlich. Um die Gefahrenlage zu prüfen. Es setzt Gemurmel ein. »Das dürfen die doch nicht?«, fragt sich Elke Steven vom Grundrechtekomitee laut. »Eine neue Verbotsverfügung, gegen das Gerichtsurteil?« Der Anwalt des »Antikapitalistischen Camps«, Martin Klingner, wird da schon deutlicher. »Das ist ein Putsch der Polizei gegen die Justiz!«, erklärt er in einem Video.

Eine Stunde später trifft erneut eine Delegation der Versammlungsbehörde ein. Zusammen mit den Anmeldern des Camps zieht sie sich hinter die Polizeiketten zurück. Lange Gesichter beim »Legal Team« des Camps, als die kleine Gruppe zurück trottet. »Camp ja, schlafen nein«, sagt eine Sprecherin der Vorbereitungsgruppe, »derselbe Scheiß wie in Altona!« Auch das zweite Protestcamp im Volkspark Altona durfte zwar erste Zelte für die Dauerkundgebung aufstellen, Schlaf-, Dusch- oder Küchenstruktur bleiben jedoch verboten. Erneut regen sich die Aktivist*innen auf: Hatte das Gericht nicht explizit das Schlafen erlaubt? »Die Polizei sagt, sie legt das Urteil anders aus«, sagt die Sprecherin des Camps, schulternzuckend. Auflagen wurden der Polizei im Urteil des Verwaltungsgerichts allerdings ausdrücklich erlaubt.

Christiane Schneider, die für die Hamburger Linksfraktion als parlamentarische Beobachterin vor Ort ist, zeigt sich wenig überrascht. »Wir hatten bereits befürchtet, dass Herr Dudde auch dieses Urteil einfach ignorieren würde, sind aber trotzdem über seine Kaltschnäuzigkeit empört«, sagt sie. Durch sein Verhalten mache »der oberste Polizist beim G20-Gipfel seinem Ruf alle Ehre, sich nicht um das Recht zu scheren.«

Es folgt eine kleine Versammlung. Wer ist dafür, die Auflagen der Polizei abzulehnen und so lange zu protestieren, bis die Schlafzelte aufgebaut werden dürfen? Der Jubel ist eindeutig. So bleibt es dabei: Die Aktivist*innen haben ein erlaubtes Camp, das sie nicht nutzen können, und die Polizei bildet weiter ihre Ketten. »Wir sagen danke, aber ohne uns! Wir bleiben auf der Straße bis wir unsere Fläche wie angemeldet beziehen können!«, wird über Twitter geschrieben. Alle warten weiter, Quetschenpaua klampft mit seiner Quetsche. Aber worauf warten wir eigentlich? »Die Polizei hat gegen die Camp-Erlaubnis Rechtsmittel vor dem Oberverwaltungsgericht eingelegt«, sagt Elke Stevens. »Entweder gibt es bald das Urteil – oder wir warten darauf, wie die Polizei auf die Dauerkundgebung hier reagiert.«

Die Aktivist*innen versuchen sich derweil, die Zeit zu vertreiben. »Dudde, du Klobürste«, schreiben sie auf eine Infowand, die die Polizei rasch mitnimmt. Nach einigen Minuten bringen die Beamten die Stellwand zurück. Ohne die Botschaft an ihren Einsatzleiter. Auf der Kundgebung nimmt man's gelassen: Man hat ja Zeit. Also wird ein kleines Quiz daraus gemacht. »Dudde, du K_o_ü_st_?«, steht jetzt auf dem Brett.

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