Merkel allein zu Haus

»Betrug«, »ungerecht«, »mutlos«: Das Wahlprogramm der Union stößt von Linkspartei bis FDP auf Kritik / Warnungen vor noch mehr Ungleichheit

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Berlin. Die Union hat ihr Wahlprogramm vorgestellt - und wohin man blickt: Es findet sich kein Beifall. Die Linkspartei nannte den Forderungskatalog ein »Programm der konservativen Einfalt« und mit Blick auf Konflikte zwischen CDU und CSU ein »Dokument der inneren Zerrissenheit«. Anstatt das Programm in der Partei zu diskutieren, setze die Union auf »Vorstandsdekrete«, sagte Linksparteichefin Katja Kipping. Die Union habe ein Papier der »ungedeckten Schecks« vorgelegt. Wer Vollbeschäftigung verspreche, aber keine Investitionen vornehmen wolle, »belügt und betrügt die Wähler«.

Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht erklärte, »die Union bleibt eine Partei der Niedriglöhne und der Altersarmut, denn sie setzt auf ein konsequentes Weiter so.« Nur wer sich der Realität verweigere, könne die massive Zunahme schlecht bezahlter, ungesicherter Jobs als »Beschäftigungswunder« verkaufen, sagte Wagenknecht. Sie warf der Union zudem vor, mit einem Anstieg der Militärausgaben auf 63 Milliarden Euro das größte Aufrüstungsprogramm seit 1945 durchsetzen zu wollen.

Auch SPD-Chef Martin Schulz kritisierte das Wahlprogramm von CDU und CSU als sozial ungerecht: Die Union warte mit Steuergeschenken für Spitzenverdiener auf und wolle reiche Erben schonen. Alle kritischen Punkte würden in den »Bayernplan« der CSU gepackt. Dieser sei »die Bad Bank der Unionsprogramme«, so Schulz. »Es ist ein mutloses Programm, ohne Ideen für die Zukunft. Es ist ein Programm, das unseriös, ungerecht und auch unverantwortlich ist.« Nach Ansicht von Schulz hat die Union bei Arbeitsmarkt, Rente und Steuern nicht viel zu bieten.

Bei der Rente warf Schulz der Union Arbeitsverweigerung vor. Auch das Steuerkonzept überzeuge ihn nicht. »Die Union will Steuergeschenke für Spitzenverdiener und schont reiche Erben.« Klar grenzte sich der Kanzlerkandidat von den Unionsvorschlägen zur Verteidigung und zu Europa ab. Es sei falsch, für das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels der Nato jährlich 20 bis 30 Milliarden Euro mehr in die Bundeswehr zu pumpen. »Wir wollen keine bis an die Zähne bewaffnete Armee im Herzen Europas«, so Schulz. Die SPD wolle die Bundeswehr ebenfalls besser ausrüsten - aber nicht um den Preis, sich der Aufrüstungslogik von US-Präsident Donald Trump zu unterwerfen.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles von der SPD warf der Union vor, mit ihrem Wahlprogramm Arbeitsplätze in der Bundesrepublik aufs Spiel zu setzen. »Die Verweigerung, die Weichen am Arbeitsmarkt für mehr Qualifizierung und bessere Löhne zu stellen, wird Jobs kosten und die Ungleichheit in Deutschland vertiefen«, sagte sie. »Das Wahlprogramm der Union ist ein Dokument der Ideenlosigkeit und inhaltlichen Erschöpfung.«

»Dieses Programm nützt denen am wenigsten, die ohnehin schon wenig haben«, erklärte die Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. Sie sah zudem eine »große Leerstelle« beim Klimaschutz. FDP-Chef Christian Lindner sagte: »Bei den großen Herausforderungen unserer Zeit wie der Digitalisierung und der demographischen Entwicklung unserer Gesellschaft legt die Union nur Stückwerk vor.«

Auch der Chef des unternehmensnahen Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest, warf der Union fehlenden Mut vor - er meinte: für größere Steuersenkungen. »Das Entlastungsvolumen von 15 Milliarden bei der Einkommensteuer plus vier Milliarden beim Solidaritätszuschlag ist nicht sehr ehrgeizig«, sagte der Ökonom. Da die 15 Milliarden Euro bereits das geplante höhere Kindergeld und den Kinderfreibetrag enthielten und außerdem der Spitzensteuersatz erst bei 60.000 Euro einsetzen solle, bleibe für die versprochene Abflachung des Mittelstandsbauches nicht mehr viel Spielraum. »Eine kritische Überprüfung der Staatsausgaben könnte größere Spielräume eröffnen«, so Fuest weiter. Mit anderen Worten: Es soll irgendwo gekürzt werden. »Stattdessen werden neue Ausgaben eingeführt, die teilweise von zweifelhaftem Nutzen sind.« Das gelte vor allem für das Baukindergeld. »Familien mit Kindern stärker zu fördern, ist sicherlich sympathisch«, sagte Fuest. »Das Baukindergeld ist aber nicht das richtige Instrument.«

In der Steuerpolitik will die Union mit dem Versprechen in den Wahlkampf ziehen, die Bürger bei der Einkommensteuer um 15 Milliarden Euro zu entlasten. Der Solidaritätszuschlag soll ab 2020 schrittweise abgeschafft werden, Steuererhöhungen soll es nicht geben. Bis 2025 will die Union Vollbeschäftigung erreichen. Familien soll stärker geholfen werden, etwa durch ein Baukindergeld: Wer eine Immobilie kauft, bekäme pro Kind und Jahr 1200 Euro Zuschuss über einen Zeitraum von zehn Jahren. Kindergeld und Kinderfreibetrag wollen die Unionsparteien erhöhen.

Zudem wollen sie 15.000 neue Polizisten auf Deutschlands Straßen schicken. Die zur Schau gestellte Einigkeit zwischen Merkel und Seehofer konnte nicht verdecken, dass es in der Flüchtlingspolitik immer noch Meinungsunterschiede gibt: Die von Merkel abgelehnte Forderung der CSU nach einer jährlichen Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen hat es nicht ins gemeinsame Wahlprogramm geschafft. Agenturen/nd

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