Marburg entnazifiziert den Voß-Weg
Hessische Universitätsstadt erkennt Ex-OB Ehrungen ab
In der hessischen Universitätsstadt Marburg geht die Aufarbeitung der lange verschwiegenen NS-Vergangenheit ranghoher Nachkriegspolitiker endlich voran. So beschloss die Stadtverordnetenversammlung Ende vergangener Woche die Umbenennung des Walter-Voß-Wegs in Katharina-Eitel-Weg. Walter Voß war von 1928 bis 1945 Bürgermeister und von 1942 bis April 1945 kommissarischer Oberbürgermeister Marburgs.
Der Verwaltungsjurist organisierte aktuellen Erkenntnissen zufolge nach der NS-Machtübernahme Anfang 1933 im Marburger Rathaus die Ausschaltung und Inhaftierung führender Mitglieder der örtlichen Arbeiterparteien SPD und KPD. Nach 1945 wurde er durch die für »Entnazifizierung« zuständigen Stellen mit Verweis auf seinen angeblichen Einsatz für eine »kampflose Übergabe« der Stadt an die US-Armee als »Mitläufer« eingestuft und von aller Verantwortung freigesprochen.
Den Beschluss zur Umbenennung der seit 1958 nach Voß benannten Straße fasste das Stadtparlament einstimmig. Wenige Tage zuvor hatte die Stadtregierung auf Anregung der örtlichen Linksfraktion auch eine Entscheidung des Gremiums von 1960 rückgängig gemacht und dem langjährigen NS-Kommunalpolitiker Voß die Verdienstmedaille der Stadt wieder entzogen.
Die neue Namensgeberin Katharina Eitel war zu ihren Lebzeiten Anwohnerin am Walter Voß-Weg und galt als herausragende Künstlerin. Sie hat zudem eine Millionenstiftung zur Förderung von Bildungsprojekten für Kinder in Krisengebieten ins Leben gerufen. 2016 war sie kurz nach ihrem 70. Geburtstag gestorben. Marburgs OB Thomas Spies (SPD) hatte in den vergangenen Monaten die geplante Umbenennung sorgfältig mit den Anwohnern besprochen und für Einverständnis geworben.
Ebenfalls ohne Gegenstimmen sprach sich das Marburger Stadtparlament auf Antrag der Linksfraktion für ein regelmäßiges Gedenken an die NS-Bücherverbrennungen und gegen das Auftreten der rechten Identitären Bewegung in der Stadt aus. »Dies rundet das Bild einer entwickelten antinazistischen politischen Kultur in unserer Stadt ab«, sagt der Stadtverordnete Henning Köster (LINKE).
Nach der Ära Voß bestimmte mit Karl-Theodor Bleek ein anderer Ex-NS-Mann im Marburg der Nachkriegszeit maßgeblich die Geschicke der Stadt. Der FDP-Politiker war Oberbürgermeister von 1946 bis 1951 und Landtagsabgeordneter, dann bis 1957 Staatssekretär im Bundesinnenministerium, schließlich bis 1961 Chef des Bundespräsidialamtes. Dass er seine frühere NS-Mitgliedschaft verschwieg, förderte seine steile Karriere. 1965 erhielt ausgerechnet der Ex-Nazi Bleek als einer der ersten die Wilhelm-Leuschner-Medaille - sie war 1964 als höchste Auszeichnung des Landes Hessen eingeführt worden. Der Gewerkschafter und SPD-Mann Leuschner war Gegner des NS-Regimes und wurde 1944 nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler hingerichtet.
Mit der Medaille sollen Personen ausgezeichnet werden, die sich »im Geiste Wilhelm Leuschners hervorragende Verdienste um die demokratische Gesellschaft und ihre Einrichtungen erworben« bzw. für »Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit« eingesetzt haben. Bleek jedoch war zu Kriegszeiten Stadtkämmerer in Breslau und dürfte an der Verfolgung und Ausraubung der jüdischen Gemeinde nicht unbeteiligt gewesen sein. Ob sich die zuständigen hessischen Entscheidungsträger irgendwann zu einer Aberkennung der Ehrung für Bleek durchringen werden, bleibt abzuwarten.
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