Zurück in die Zukunft

Volker Ludwig geht, seine Idee bleibt: Das Grips-Theater stellt seine Spielzeitpläne für 2017/18 vor

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 3 Min.

Am frühen Mittwochabend musste der Autor dieser Zeilen ein Telefongespräch mit einer Verwandten abrupt beenden, weil die szenische Spielzeitvorstellung 2017/18 in einem Kinder- und Jugendtheater startete. Deren Namen kenne sie wohl nicht. »Kinder- und Jugendtheater?«, rief sie noch aus. »Ach ja, so wie das ›Grips‹!« Jene Verwandte lebt seit jeher in Südwestdeutschland und war in ihrem Leben ein- oder zweimal in Berlin. Wenn sie an Bühnenkunst für den Nachwuchs denkt, fällt ihr aber zuerst das Haus am Hansaplatz ein.

Dass diese Schauspielstätte heute bis in die rheinland-pfälzische Provinz bekannt ist, das hätte sich Volker Ludwig im Jahr 1969 nicht ausmalen können. Damals gründete der Kabarettist das Grips-Theater, mit dem er eine völlig neue Form kultureller Bildung für Kinder etablieren wollte. Nicht mehr nur Märchen und Sagen sollten die Kleinsten unterhalten. Als erster Kindertheatermacher in der Bundesrepublik politisierte er die Kleinsten mit einer zugänglichen Ästhetisierung ihres Alltags.

Vor einem Jahr übertrug Ludwig die künstlerische Leitung an den Theaterpädagogen Philipp Harpain. Jetzt übernimmt Harpain mit der Gesamtleitung auch die betriebswirtschaftliche Verantwortung und damit den »unangenehmen Teil des Chefseins«, wie Ludwig bei der an die Spielzeitpräsentation angehängten Abschiedszeremonie sagte: »Ich habe in den vergangenen 48 Jahren mehr Zeit mit dem Kampf um die Finanzierung des Theaters verbracht als mit dem Schreiben von Stücken und Liedern.«

Um sein Haus sorgt er sich dennoch nicht. Das liegt nicht nur daran, dass Harpain zuvor von »Signalen des Kultursenators« sprach, nach denen sein Haus künftig mehr Subventionen erhalten könnte. Nachdem in der gerade auslaufenden Spielzeit sechs Uraufführungen über die Bühne gingen, kündigt das Theater zur Saison 2017/18 fünf neue Stücke an.

Für die Spielzeiteröffnung wird anlässlich der Ende September stattfindenden Bundestagswahl mit »Das Heimatkleid« die komplexe Lage um angebliche Denkverbote und Rechtspopulismus durchgespielt. In dem ab 15 Jahren empfohlenen Einpersonenstück von Kirsten Fuchs steht eine Textilunternehmerin im Mittelpunkt, die sich entscheidet, nur noch in Deutschland zu produzieren und heimatverbundene Kleidung herzustellen. Vom Eigenen zum Fremden geht es in »Faltet eure Welt« ab dem 21. November: Die Falttechnik des Origami ist mittlerweile auch hierzulande bekannt. Dass dahinter weit mehr steckt, das soll diese Produktion »für Menschen ab 14 Jahren« zeigen.

Im neuen Jahr zeigt das »Grips« dann eine »für Menschen ab acht Jahren« angekündigte Bühnenfassung des Kinderbuchs »Anton macht’s klar« von Milena Baisch - eine Gangsterkomödie um einen in Armut lebenden Jungen. In ähnlicher Lage befinden sich auch die Protagonisten in »Magdeburg hieß früher Madagaskar« (ab sechs Jahren) von Zoran Drvenkar, das ab März von häuslicher Gewalt und der Kraft der Freundschaft erzählt. Zum Abschluss der Spielzeit zeigt das »Grips« dann die Uraufführung »Phantom (Ein Spiel)«, das sich »für Menschen ab 16 Jahren« mit Vorurteilen und Klischees über Roma-Familien auseinandersetzt.

Die Pleite ist am »Grips« wegen dieses politischen Geistes im Sinne des Publikums noch nicht eingetreten. Natürlich liegt es auch daran, dass Volker Ludwig seinem Theater mehrere Dauerbrenner für Erwachsene geschenkt hat, die noch immer für eine volle Hütte sorgen. Das Berlin-Musical »Linie 1« gehört dazu, aber auch das Kabarettstück »Eine linke Geschichte«, die beide im Repertoire der nächsten Saison bleiben werden. Der nunmehr 80 Jahre alte Volker Ludwig stand am Ende der Präsentation auf der Bühne, sichtlich bewegt von einem Abschiedslied seiner Mitarbeiter und den stehenden Ovationen der Zuschauer. Der Abschied falle ihm leicht, hauchte er ins Mikrofon, die Tränen der Nostalgie in den Augen und das Strahlen des Vollendeten im Gesicht.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.