Wo bitte geht’s zum Kaufvertrag?

Ein alternatives Hausprojekt in Prenzlauer Berg feiert mit Aktion gegen Immobilienspekulation Geburtstag

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 3 Min.

»Chestnut Paradise Quarter - Luxus Townhouse mit Urban City Charme« wirbt ein Plakat auf einem Baucontainer in der Kastanienallee in Prenzlauer Berg. »Scheiss Spekulanten raus« ist mit roter Farbe darüber gesprüht. Der Container steht vor der Hausnummer 77: ein gelb gestrichener Altbau, im Erdgeschoss ein Kino. Dahinter verbirgt sich ein ehemals besetztes Haus. Das Plakat ist eine Fälschung. Es soll zur Ausstellung einladen, die im Baucontainer untergebracht und Teil der Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag der Besetzung ist.

Getarnt war diese am 20. Juni 1992 als Kunstaktion. Die Teilnehmer - viele von ihnen hatten ihre Besetzungserfahrung in der Mainzer Straße in Friedrichshain gemacht - kamen in Weiß gekleidet als Ärzte oder Krankenschwestern und brachten ein überdimensioniertes Herz mit. Das seit mehreren Jahren leerstehende Haus narkotisierten sie mit »Anti-Spekulatium«, wie es auf einer der Tafeln in der Ausstellung heißt. Dann transplantierten sie dem Gebäude ein neues Herz und verkündeten, dass sie sich fortan um den Patienten kümmern wollten.

Elizabeth Grenier wohnt seit zehn Jahren in der Kastanienallee 77. Gemeinsam mit anderen Bewohnern und Unterstützern hat sie die Ausstellung organisiert. »Die Polizei kam 1992 zwar, ließ sich aber davon überzeugen, dass es keine Besetzung war, sondern ein Kunstprojekt - und zog wieder ab.« Ein Jahr später hatten die Besetzer noch einmal Glück. Der neue Eigentümer wollte das Haus auf eigene Faust räumen und schickte eines frühen Morgens einen Bautrupp hinein. Die herbeigerufene Polizei verwies die Arbeiter jedoch vom Grundstück.

Nach mehreren Runden Tischen verkaufte der Eigentümer das Haus schließlich an die Stiftung Umverteilen, die das Haus per Erbpachtvertrag den Bewohnern übertrug. Dann wurde fünf Jahre lang saniert.

Der damalige Charakter ist bis heute erhalten geblieben: Das Lichtblick-Kino im Vorderhaus, das Tanzstudio K77, die Siebdruckwerkstatt und die Minigolfanlage auf dem Dach werden von verschiedenen Kollektiven geleitet. Alle zwei Jahre wechseln die 20 Erwachsenen und zehn Kinder, die im Haus wohnen, die Zimmer. »Die Lebenssituation der Menschen ändert sich, manche bekommen Kinder, andere brauchen weniger Platz. Wir diskutieren so lange, bis es allen passt«, sagt Grenier. Auf einer Tafel in der Ausstellung ist der Entscheidungsprozess fotografisch festgehalten. Die Mieten sind vergleichsweise niedrig. »Hier im Kiez hat sich in den vergangenen Jahren so viel verändert«, sagt Grenier. Es gebe kaum noch Geschäfte des täglichen Bedarfs. Schon vor Jahren habe ein türkischer Lebensmittelhändler auf der gegenüberliegenden Straßenseite geschlossen. »Heute gibt es da Taschen.«

Wenige hundert Meter von der Kastanienallee 77 entfernt liegt die Luxuswohnanlage Marthashof. Der Zugang zur Schwedter Straße ist verschlossen. Dass nun auch das Wohnprojekt in der Kastanienallee Luxuswohnungen weichen soll, verwundert kaum jemanden. »Es gibt drei unterschiedliche Reaktionen«, berichtet Grenier. »Die einen wollen sich über den Kaufpreis informieren. Die anderen sind traurig, dass noch ein alternatives Wohnprojekt verschwinden soll. Die dritten blenden das Plakat einfach aus, schließlich gehören Ansichten wie diese längst zur Landschaft der Stadt.« Sie alle lädt Grenier ein, noch bis zum 14. Juli täglich von 15.30 bis 18.30 Uhr die Ausstellung zu besuchen. »Wir wollen Menschen inspirieren und zeigen, dass es nicht nur ein Modell gibt, wie man hier in Prenzlauer Berg leben kann.«

Ein paar Meter weiter lädt das Café Morgenrot in der Kastanienallee 85 zur Ausstellung »Kein Abriss unter dieser Nummer« ein. Auch dieses ehemals besetzte Haus feiert Geburtstag.

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