Geheim für 120 Jahre

Hessens Landesregierung verweigert transparente Aufklärung der NSU-Verbrechen

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.

Rund ein halbes Jahr Zeit bleibt dem NSU-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags noch, um aus meterlangen Aktenordnern und weiteren Zeugenbefragungen Details wie Mosaiksteinchen zusammenzutragen. Der Abschlussbericht soll Anfang 2018 zu Papier gebracht werden. Bis dahin muss die Rolle der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit dem Kasseler NSU-Mord an dem Internetcafébetreiber Halit Yozgat im Frühjahr 2006 ausgeleuchtet sein.

Wie weit die fünf Landtagsfraktionen bei der Erstellung des Abschlussberichts tatsächlich an einem Strang ziehen werden, muss sich zeigen. Schon bei der Beschlussfassung über die vor allem von der Linksfraktion vorangetriebene und von der SPD unterstützte Einsetzung des Untersuchungsausschusses stach im Vergleich mit dem Bundestag und anderen Landtagen eine hessische Besonderheit hervor. Hier enthielten sich die Koalitionäre CDU und Grüne der Stimme. Regierungschef Volker Bouffier (CDU), der von 1999 bis 2010 Innenminister und oberster Dienstherr von Polizei und Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) war, will wieder als Spitzenkandidat seiner Partei antreten. Zweifel an seiner Rolle rund um den Kasseler Mord 2006 und die Frage, ob er durch persönliche Intervention die Ermittlungen behindert hat, kommen ihm dabei ungelegen.

Als Bouffier Ende Juni vor dem Ausschuss Fragen beantwortete, konnte er nach Ansicht vieler Beobachter genau solche Zweifel nicht ausräumen. Auch wenn er weit von sich wies, den am Tatort in Kassel anwesenden und zeitweise unter Mordverdacht stehenden ehemaligen Verfassungsschutzmitarbeiter und V-Mann-Führer Andreas Temme persönlich gekannt und protegiert zu haben, hinterließ er bei aufmerksamen Zuhörern den Eindruck eines Mannes, der zumindest den Laden »nicht im Griff« hatte, im schlimmsten Falle jedoch keinerlei Interesse an einer vollen Aufklärung hat.

»Die zu Tage getretenen Erkenntnisse über Waffen- und Sprengstoffbesitz der rechten Szene in Hessen sind erschreckend. Noch erschreckender ist aber, dass der Verfassungsschutz vielen Verdachtsfällen offenbar nicht nachging«, kommentierte der Wiesbadener DGB-Gewerkschaftssekretär Sascha Schmidt die Meldung über Waffen- und Sprengstofffunde seit 1992. »Der Öffentlichkeit wurde stattdessen über Jahre erzählt, in Hessen gäbe es keine ernstzunehmende Szene. Wenn Bouffier dies als erfolgreiche Arbeit verkaufen möchte, grenzt das schon an einen Skandal«, so der Gewerkschafter und langjährige Kenner der Szene.

Jüngst wurde bekannt, dass das LfV schon 1999 Hinweise auf militante Strukturen eines »Nationalen Untergrunds« und auf »Nationalsozialistische Untergrundkämpfer« hatte. Seit Anfang der 2000er Jahre lagen 250 Hinweise auf das NSU-Umfeld und mögliche Verbindungen hessischer Neonazis zum NSU vor. In keinem veröffentlichten Verfassungsschutzbericht oder Statement der Landesregierung und in keiner Aussage im NSU-Ausschuss sei jemals darauf hingewiesen worden, kritisiert der Abgeordnete Hermann Schaus (LINKE). Gleichzeitig seien 541 Aktenstücke über Rechtsextreme verschwunden. »Noch immer müssen wir um jedes Blatt Papier kämpfen. Freiwillig rücken Verfassungsschutz und Landesregierung nichts heraus«, so Schaus.

Eine sofortige Veröffentlichung des bisher strikt geheim gehaltenen LfV-Untersuchungsberichtes zur hessischen Naziszene in den Jahren 1992 bis 2012 verlangt auch die unabhängige Beobachtungsstelle NSU-Watch Hessen. Teile dieses Berichts wurden jedoch vom LfV für 120 Jahre als »geheim« eingestuft. Man wolle auch die Nachfahren der Informanten schützen, argumentiert Innenminister Peter Beuth (CDU). »Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, ob das hessische LfV eine Gelegenheit verpasst hat, die NSU-Morde zu verhindern, und ob womöglich weitere RechtsterroristInnen im Untergrund waren«, so Sarah Müller von NSU-Watch.

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