Streiten um Ödland und Meereswellen

Auf dem Balkan bleiben Grenzstreitigkeiten an der Tagesordnung

  • Lesedauer: 2 Min.

Schlichtungsversuche lassen hoffnungslos verkrachte Brüder nur noch erbitterter streiten. Nach dem von Kroatien nicht anerkannten Schiedsspruch über den Verlauf der Seegrenze mit Slowenien in der Bucht von Piran nimmt das Sommertheater der unversöhnlichen Protestnoten an der Adria seinen unerbittlichen Lauf. Ljubljana erregt sich über in der Bucht kreuzende Fischkutter der Nachbarn in Begleitung von kroatischen Polizeibooten, Zagreb über deren von slowenischen Polizeibooten erzwungene Abdrängung.

Seit ihrer Unabhängigkeit 1991 wogt zwischen den streitbaren Ex-Bruderstaaten ein für Außenstehende kaum nachvollziehbarer Nachbarschaftsstreit im Seewasserglas. Bisher durchkreuzten Frachtschiffe, die Sloweniens einzigen Adria-Hafen Koper ansteuerten, ohne irgendwelche Probleme kroatische und italienische Gewässer. So bizarr im freien EU-Warenverkehr das slowenische Beharren auf einen eigenen Seekorridor zu den internationalen Gewässern wirkt, so unverständlich wirkt Kroatiens Kompromisslosigkeit angesichts einer 1777 Kilometer langen Küste. Über Meereswasser verfügt der EU-Neuling also mehr als genug. Wie erwartet und von Kroatien befürchtet schlug der Ende Juni veröffentlichte Schiedsspruch nun den Großteil der Bucht von Piran den Nachbarn zu.

Nicht nur die beiden EU-Partner beharken sich in der Region schon seit über einem Vierteljahrhundert im fruchtlosen Grenzstreit: Ebenso inbrünstig wie unversöhnlich zanken sich fast alle der ex-jugoslawischen Bruderstaaten um unbewohntes Ödland, Bergfelsen, Flusssandbänke und Meereswellen.

Mehrmals nebelte beispielsweise Kosovos Opposition das Parlament in Pristina mit Tränengaswolken ein, um die Verabschiedung eines umstrittenen Grenzabkommens mit Montenegro zu verhindern: Die Grenze sei in den 90er Jahren unrechtmäßig ein paar Kilometer in das Territorium des seit 2008 unabhängigen Kosovos verlagert worden, so die Begründung.

Als scheinheilig bewerten Kritiker die hilflose Drohung Brüssels, dass ohne das angemahnte Grenzabkommen den Kosovaren die zugesagte Visafreiheit bei Reisen ins Schengenreich verwehrt bleiben müsse: Schließlich seien bis auf Mazedonien auch alle anderen ex-jugoslawischen Staaten in ungelöste Grenzstreitigkeiten verwickelt - dennoch sei für deren Bürger die Visapflicht trotzdem längst aufgehoben worden.

Die meisten Grenzstreitigkeiten leistet sich das Land mit den längsten Außengrenzen: Außer mit Slowenien zankt sich Kroatien unter anderem um den Verlauf der Donaugrenze zu Serbien, um den Grenzverlauf auf der Halbinsel Prevlaka mit Montenegro oder um die Seegrenze bei der bosnischen Adria-Enklave Neum.

Das bosnisch-serbische Grenzhickhack konzentriert sich derweil bevorzugt auf die grünen Fluten der Drina. Von einem Grenzabkommen noch Lichtjahre entfernt bleiben weiter die unwilligen Nachbarn Serbien und Kosovo. Da Serbien die Unabhängigkeit der Ex-Provinz noch immer nicht anerkennt, spricht Belgrad weiter von einer »administrativen« statt wie Pristina von einer Staatsgrenze.

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