Die »Good Girls« der Bösen
Imagepflege durch Filmkunst: die Amazon Studios
Amazon, klar, das sind die Bösen. Der Konzern, der bei den Steuern trickst, seine Angestellten knechtet und den Einzelhandel zerstört, indem er - bei seinem Geschäftsmodell Amazon Prime - vom Angelhaken bis zur Zahnpasta alles frei Haus liefert.
Bloß sind die Leute, die Amazon lenken, nicht nur böse, sondern auch clever. Sie sind sich bewusst, dass das Image des Raffzahns und Ausbeuters die Umsätze gefährdet. Umgekehrt honoriert es der kritische Konsument, wenn sich ein Unternehmen zumindest Mühe gibt. Und da die klugen, fiesen Menschen von Amazon wissen, dass es - angesichts des langen Vorstrafenregisters - mit ein bisschen Bio, Öko und Fairtrade nicht getan ist, hatten sie eine bessere Idee: Sie gründeten die Filmgesellschaft Amazon Studios. Diese hat seit 2013 mehrere Dutzend Serien und Spielfilme hervorgebracht. Und das ist dann der Punkt, an dem die Sache interessant wird.
Denn dieser Ableger des Bösen kreiert Gutes. Im allgegenwärtigen Superhelden-Kino, das in Schlachtfestmanier die Marvel-Comics der letzten Jahrzehnte verwurstet, überrascht Amazon Studios mit sezierenden Dokumentationen (»I Am Not Your Negro«), anarchischen Independentstreifen (»Wiener-Dog«) und beklemmendem Neorealismus (»Manchester By The Sea«). Also genau mit der Art von Filmen, wie sie Hollywood seit der Schockstarre des 11. September nicht mehr hinbekommt.
Entsprechend hat sich das Interesse jener, die von Kino mehr erwarten als Computeranimationen und 3D-Effekte, hin zum Fernsehen verlagert. Wer die Welt, in der wir leben, besser verstehen will, findet in TV-Serien wie »Mad Men«, »Breaking Bad« oder »House of Cards« reichlich Anhaltspunkte. Doch auch auf diesem Feld zeigt Amazon Studios künstlerischen Ehrgeiz. Da gibt es die Science-Fiction-Nazi-Dystopie »The Man in the High Castle«, die auf einem Roman von Philip K. Dick beruht, und als zeitliches Gegenstück die »Good Girls Revolt«, die in eine unheile Vergangenheit blickt: die späten 60er und frühen 70er.
Jene Jahre werden heute gerne pazifistisch verklärt: Summer of Love, Flower-Power, Woodstock, Give Peace a Chance, Friede Freude Eierkuchen - als wäre die Welt eine einzige Hippiebewegung gewesen! Tatsächlich gab es auch damals unzählige Menschen, die in Büros ganz bürgerlich ihr Geld verdienten. Nur dass das Geldverdienen für Frauen deutlich härter war. »Good Girls Revolt« zeigt den Arbeitsalltag in einem amerikanischen Nachrichtenmagazin: hier die Rechercheurinnen, dort die Reporter. Die Frauen arbeiten den Männern zu, und diese heimsen die Lorbeeren ein. Und selbst wenn eine Frau mal einen Artikel schreiben darf, steht darunter der Name eines Mannes, der natürlich drei Mal so viel verdient wie sie - »It’s a Man’s Man’s Man’s World.«
Was im Beruf passiert, setzt sich im Privaten fort. Die Männer entstammen dem Lehrbuch des angewandten Chauvinismus. Warum sollte eine Frau Karriere machen, wenn sie bald Gattin und Mutter sein wird! Das alles ist grausam, unfair - und herrlich mit anzusehen. Denn der Kampf gegen eine himmelschreiend ungerechte Welt bereitet ein höllisches Vergnügen. »Good Girls Revolt« lebt von dem Enthusiasmus, den Menschen entwickeln, wenn sie ihr Schicksal nicht länger als gottgegeben hinnehmen. Man(n) ertappt sich dabei, dass man die rebellierenden »Good Girls« beneidet. Weil sie etwas hatten, worum es sich zu kämpfen lohnte. Weil sie all die Schlachten, die heute längst gewonnen sind, noch ausfechten durften. Wie viel aufregender muss es gewesen sein, den offenkundig Bösen und Bornierten die Stirn zu bieten, statt sich - zwecks Sinnstiftung - mit makrobiotischer Ernährung und fernöstlichen Entspannungstechniken zu beschäftigen?
Heute sind die Bösen so unscheinbar und lässig wie Amazon. Und wenn man sich ihre filmischen Produkte anschaut, ist man sich nicht einmal mehr sicher, ob sie nicht eigentlich doch ganz okay sind.
»Good Girls Revolt« läuft bei Amazon.
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