Ausverkauf der Heimat
Ukrainer trauen den Bodenreform-Plänen ihres Ministerpräsidenten nicht über den Weg
Eigentlich sollte auf Drängen der Geldgeber des Landes - dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank, der EU und den USA - das Thema Landreform längst unter Dach und Fach sein. Bereits im Mai dieses Jahres sollte das Parlament in der Hauptstadt Kiew grünes Licht für die Aufhebung eines seit 2001 bestehenden Moratoriums gegeben haben, das den Verkauf von Agrarland verbietet. Doch die Kritik war derart heftig, dass nicht nur die Regierung von Ministerpräsident Wladimir Groisman vor dem Rücktritt stand, sondern auch große Teile der ukrainischen Gesellschaft einen »Ausverkauf der Heimat« befürchten, wie die Zeitschrift »Tyzhden« schreibt.
Mittlerweile ist die Ukraine in Befürworter und Gegner des Vorhabens gespalten. Das Misstrauen wird größer, je mehr Details zur Reform durchsickern. Kürzlich hatte die Arbeitsgruppe Bodenreform dem Kabinett ein Konzept vorgelegt. Parlamentarier, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, Lobbyisten und Agrarexperten präsentierten einen Zeitplan. Nach der Sommerpause, im September, sollen die Vorbereitungen zur Aufhebung des Moratoriums beginnen. Ab 2018 wird es dann möglich sein, landwirtschaftliche Flächen zu verkaufen. In den ersten Jahren soll es nur ukrainischen Staatsbürgern erlaubt sein, Boden zu erwerben, die Fläche ist auf jeweils 200 Hektar beschränkt.
Das Problem der Regierung: Kaum jemand traut den Plänen. Der IWF macht Druck. Und Mitte 2018 startet der Präsidentschaftswahlkampf, die Wahlen finden im Frühjahr 2019 statt. Doch die Zahlen der ukrainischen Landwirtschaft wecken vor allem bei US-amerikanischen und europäischen Agrarkonzernen große Begehrlichkeiten: Die Ukraine verfügt über rund 30 Prozent der weltweiten Vorkommen an Schwarzerde - ein Bodentyp, der für die Landwirtschaft hervorragend geeignet ist. Bis zu 56 Prozent der ukrainischen Fläche besteht aus diesem Boden, in etwa die Größe der Bundesrepublik.
Die landwirtschaftliche Nutzfläche der Ukraine wird von der Weltbank mit rund 41 Millionen Hektar angegeben, wovon rund 32 Millionen Hektar Ackerland sind. Das entspricht einem Viertel der gesamten Ackerlandfläche der EU. Nach Plänen der USA und der EU soll die Ukraine in die Liga der weltweit führenden Lebensmittelhersteller aufsteigen, damit auch das geopolitische Gewicht des Landes steigt. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) hat jüngst ausgerechnet, dass die Ukraine mit dem Verkauf eines Teils dieser Flächen innerhalb der ersten Jahre 40 bis 50 Milliarden Euro einnehmen könnte.
Groisman reiste in den vergangenen Wochen in die USA sowie nach Großbritannien und Irland, wo er versuchte, sein Projekt als eine Art Mittelstandsförderungsprogramm zu verkaufen: »Wir wollen zur Schaffung einer neuen Art von Bauern beitragen«, zitiert die Nachrichtenagentur Unian aus einer Presseerklärung des Ministerkabinetts.
Einigen dauert der Prozess indes zu lange: 55 Abgeordnete der Fraktion des Präsidenten, der »Block Petro Poroschenko«, haben das Verfassungsgericht angerufen, damit das Moratorium noch vor Ende 2017 aufgehoben wird. Poroschenko hatte Ende Juni die USA besucht, und er soll dort laut Berichten ukrainischer TV-Sender mit Vertretern der US-Agrarlobby zusammengekommen sein. »Gab es einen Deal: Land gegen Waffen?«, fragte NewsOne. Tatsächlich war die Lieferung letaler Waffen aus den USA Gesprächsthema der ukrainischen Delegation. Bisher hatte Washington die Bitte Kiews immer negativ beschieden.
Zwischen den Agrarindustrien der Ukraine und der USA gibt es bereits sehr enge Verbindungen. Die Stadt Fargo im US-Bundesstaat North Dakota hat seit 2006 eine Kooperation mit Kiew. »Gerade jetzt wachsen diese Beziehungen«, sagt Dean Gorder, Executive Director vom Handelsbüro Nord-Dakota, im Gespräch mit der englischsprachigen Wochenzeitung »Kyiv Post«. Gorder ist überzeugt, dass die Ukraine »jetzt mit der Umstellung in der Landwirtschaft beginnen sollte«.
Titan Macheniery, der größte US-amerikanische Händler für landwirtschaftliche Geräte mit Sitz in Fargo, hat seit 2012 bereits vier Service-Center in der Ukraine eröffnet, eines davon in Vinnitsa, der Heimatstadt von Ministerpräsident Groisman.
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