Hände weg vom Tempelberg!

Palästinenser protestieren am »Tag des Zorns« gegen israelische Restriktionen in Jerusalem

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Erneut liefern sich überwiegend junge Palästinenser in den engen, verwinkelten Gassen der Jerusalemer Altstadt Straßenschlachten mit der israelischen Polizei. Die Demonstranten werfen Steine, die Sicherheitskräfte setzen Tränengas und Gummigeschosse ein. Auch in mehreren palästinensischen Ortschaften, die im Laufe der Zeit von Israel nach Jerusalem eingemeindet wurden, gibt es Ausschreitungen; für Mittwoch hatte der palästinensische Präsident Mahmud Abbas zu einem »Tag des Zorns« aufgerufen.

Denn nachdem am vergangenen Freitag drei Palästinenser israelische Polizisten angegriffen und zwei von ihnen getötet hatten, schloss Israels Regierung zunächst den Haram al-Scharif, in Deutschland als Tempelberg bekannt, für muslimische Gläubige; die Polizei lud zudem Muhammad Ahmad Hussein, Mufti von Jerusalem, und dessen Vorgänger Akram Sabri zum Verhör vor. Zudem ließ man an den Eingängen zu dem Muslimen und Juden gleichermaßen heiligen Areal Metalldetektoren installieren.

Von vielen Palästinensern wird dies als Änderung des Status quo gesehen: Die palästinensische Regierung wirft Israel vor, den Tempelberg schleichend unter die Kontrolle des jüdischen Staates bringen zu wollen. Israels Sicherheitsdienste sagen, die Angreifer seien samt Waffen über den Haram al-Scharif in die Altstadt gelangt; das Personal der Wakf, jener Organisation, die den Tempelberg verwaltet, habe zugesehen. Ein Sprecher der Wakf bestreitet dies.

Der Status des Areals ist noch etwas komplizierter, als es die Situation Ost-Jerusalems ohnehin schon ist: 1967 während des Sechs-Tage-Kriegs von Israel besetzt, wurde der Tempelberg zusammen mit Ost-Jerusalem 1980 von Israel annektiert; ein Schritt, der völkerrechtlich nicht anerkannt ist. Die zivile Verwaltung des Areals unterliegt jedoch der Wakf, die die erforderlichen Mittel dafür von der jordanischen Regierung erhält; die israelische Polizeipräsenz vor Ort ist stets so minimal wie möglich und in der Regel darauf ausgerichtet, Provokationen durch rechte Israelis und fundamentalistische Christen zu verhindern. Außerdem beschränkt Israels Regierung den Zutritt für Palästinenser auf solche, die in Jerusalem wohnen, und israelische Araber. Zeitweise müssen männliche Palästinenser auch eine bestimmte Altersgrenze überschritten haben.

Für Palästinenser ist der Tempelberg indes nicht nur religiöse Stätte, sondern auch nationales Symbol. Immer wieder kommt es deshalb zu Ausschreitungen; prominentestes Beispiel ist wohl der Besuch, mit dem der spätere Ministerpräsident Ariel Scharon im September 2000 die zweite Intifada auslöste. 1997 wurden zudem mindestens 42 Menschen getötet, nachdem Israel in der ersten Amtszeit von Regierungschef Benjamin Netanjahu einen Tunnel unter dem Tempelberg geöffnet hatte.

Abbas hat nun zu Demonstrationen gegen die Metalldetektoren aufgerufen und zudem angeordnet, dass alle Jerusalemer Moscheen außerhalb des Tempelbergs am Freitag geschlossen bleiben sollen, damit so viele Gläubige wie möglich auf dem Haram al-Scharif beten. Es sei eine brenzlige Situation, sagt Regierungschef Rami Hamdallah: »Der Haram al-Scharif ist für Palästinenser ein nationales und religiöses Symbol, und wir haben die Hamas, die versucht, die Situation dazu zu nutzen, im Westjordanland und in Jerusalem an Einfluss zu gewinnen.«

Seit Beginn der Krise stellt sich die mit der palästinensischen Regierung verfeindete Organisation, die den Gaza-Streifen unter Kontrolle hat, als Beschützerin des Tempelbergs dar; Abbas‘ Fatah-Fraktion sei »eine Marionette Israels, die zusieht, wie Israel einen neuen jüdischen Tempel plant«, so der Gaza-Chef der Hamas, Yahya Sinwar, am Mittwoch.

Im Hintergrund versuchen derweil jordanische Diplomaten, Alternativen zu den Metalldetektoren auszuhandeln, denn auch aus Sicht Israels ist die Lösung »nicht ideal«, wie Mitarbeiter des Außenministeriums sagen. Dort sorgt man sich vor allem um die Beziehungen zu arabischen Staaten wie Jordanien, Ägypten, Saudi-Arabien.

Seit mehreren Monaten pflegt man ziemlich offene Beziehungen auf der arabischen Halbinsel, die darauf abzielen, ein regionales Gegengewicht zu Iran zu bilden. Der ehemalige saudische General Anwar Eschki, der maßgeblich am Aufbau der Kontakte beteiligt war, warnte am Dienstag, Israel müsse alles vermeiden, was in der muslimischen Welt als »Angriff auf den Haram al-Scharif« gesehen werden könnte.

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