Demokratie im Dilemma
Das Versammlungsrecht verurteilt den Staat nicht zur Ohnmacht, meint Uwe Kalbe nach dem Nazikonzert in Themar
Bedauern allenthalben: Wie schade, dass man Nazikonzerte wie das vom Wochenende im südthüringischen Themar nicht verbieten kann. Die Gesellschaft, die Demokratie - wir alle können doch nicht hinnehmen, dass Menschen sich unter Berufung auf das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit über die Normen des Menschlichen hinweg in eine Blut- und Hassstimmung hineinbrüllen. Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow findet, dass so etwas nicht unter Meinungsfreiheit verbucht und toleriert werden sollte und würde dafür gern das Versammlungsrecht ändern.
Was verboten gehört - ist das nicht vom politischen Standpunkt abhängig? Wird mit dieser Debatte nicht reiner Willkür die Tür geöffnet? Der Landkreis, in dem Themar liegt, wollte das Konzert verbieten. Er scheiterte an den Gerichten, weil die seiner Sicht nicht folgten, man könnte auch sagen: seinem Kniff. Das Versammlungsrecht zu umgehen und das Konzert als Kulturveranstaltung einzuordnen, hätte den ordnungsrechtlichen Spielraum geschaffen, das Konzert zu verhindern.
Im Beschluss des Verwaltungsgerichts Meiningen ist nachzulesen, wie dieses fein ziseliert nachweist, dass es sich bei dem Konzert durchaus um eine Versammlung handelte. Und also nicht um eine kommerzielle Veranstaltung - 10.000 georderten Würstchen und 150 Fässern Bier zum Trotz. Das Gericht folgte auch nicht dem Argument, dass das Eintrittsgeld von über 30 Euro auf eine »Gewinnerzielungsabsicht« schließen lasse. Eine Versammlung ist eine Versammlung, auch wenn sie sich mit Unterhaltung, Verkauf von Tonträgern und Devotionalien mischt. Das Gericht stellte das Konzert unter den Schutz des Versammlungsrechts, weshalb es dann am Sonnabend auch ungehemmt und abstoßend stattfand.
Dem Gericht ist zuzustimmen: Es handelte sich um eine Versammlung viel mehr, als um ein Konzert. Und um eine kommerzielle Vergnügungsveranstaltung viel weniger, als um ein politisches Statement. Versammlungen schließen Vergnügen nicht aus, nicht einmal so zweifelhaftes wie das von 6000 Nazis, Rudolf Heß und Adolf Hitler zu feiern, auch wenn sie dies in grafischer Verfremdung notdürftig kaschierten.
Versammlungen seien »Zusammenkünfte mehrerer Personen zu gemeinschaftlicher, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteter Erörterung oder Kundgebung«, zitierte das Gericht den Gesetzesparagrafen. Das Grundrecht schütze die Freiheit der Versammlung als »Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung«.
Das Grundgesetz selbst verleiht allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Doch ist der Staat zur Rolle eines zahnlosen Tigers verdammt, wenn er dem Einhalt gebieten will? Offenbar nicht, wie Beispiele immer es wieder belegen. Die Feststellung, dass es sich bei dem Nazikonzert um eine Naziversammlung handelte, ist nicht gleichbedeutend mit der Anerkennung der vollständigen Ohnmacht des Staates.
Was sich in Themar entfaltete, ist nur unter Aufbietung der größten zivilisatorischen Selbstverleugnung »auf Kommunikation angelegt« zu nennen, wie das Versammlungsrecht es schützt. Wo die Freiheit der Versammlung ihre Grenzen hat, das ist die hier entscheidende Frage. Das Recht, sich »ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln« - darf es sich auf die Verherrlichung von Gewalt erstrecken? Auf die Verherrlichung des größten Menschheitsverbrechens der Neuzeit? Ist die Versammlung dann noch friedlich zu nennen? Nein! Das Recht, sich friedlich zu versammeln ist verwirkt, muss verwirkt sein, wenn mit massenhaftem, dröhnendem Heil-Hitler-Ruf die Wiederholung dieses Menschheitsverbrechens herbeigewünscht und angedroht wird.
In einer einfachen Verkürzung liegt der wahre Kern dieses so komplizierten rechtlichen Sachverhalts: Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist ein Verbrechen. Seine Fortsetzung anzudrohen, ist nicht zu tolerieren. Auch nicht über das Versammlungsrecht. Weil es trotzdem immer wieder geschieht, landet die Last aller Verantwortung zum Widerstand immer wieder auf den Schultern der Zivilgesellschaft. Die zu den Drohungen der Nazis nicht selten die Diffamierung eines Teils der Öffentlichkeit, der Behörden, erst recht der Polizei vor Ort erdulden muss, und den Vorwurf, angeblich nur die andere Seite der extremistischen Auswüchse der Gesellschaft zu verkörpern.
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