Für Mensch und Umwelt

Die Kampagnenorganisation Urgewald wurde vor 25 Jahren im Münsterland gegründet

  • Christian Russau
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius gegenüber dem Beginn des Industriezeitalters halten? Das geht nur, wenn keine Kohle mehr verbrannt wird: »Es gibt keinen Raum für neue Kohle«, erklärte die Ex-Generalsekretärin des Sekretariats der UN-Klimarahmenkonvention, Christiana Figueres, bereits 2015 vor der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens. Dennoch sind derzeit über 1600 neue Kohlekraftwerke und -kraftwerksblöcke in 62 Ländern geplant oder in Planung. Damit würde die Kapazität von Kohlekraftwerken fast verdoppelt - um mehr als 840 000 Megawatt. Dies entspräche der Kapazität von 840 Atomkraftwerken.

Die Zahlen sowie die dahinter stehenden Firmen und verantwortlichen Regierungen recherchiert hat die Nichtregierungsorganisation Urgewald, die an diesem Sonntag ihr 25-jähriges Jubiläum feiert. Die Recherche zu neuen Kohlekraftwerke war ein weiterer aufsehenerregender Scoop, den die Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten aus dem in münsterländischen Sassenberg Ende Juni landen konnten. Urgewald konnte durch penible Recherche offenlegen, wer hinter den gewaltigen Kohleexpansionsplänen steckt, und hat die Daten auf www.coalexit.org veröffentlicht. Finanziert werden sie von großen Geldgebern. Darunter sind internationale Kreditinstitute sowie Investoren aus Europa, Nordamerika und Australien, die eine zentrale Rolle im schmutzigen Geschäft spielen.

»Die verantwortlichen Unternehmen sind eine Bedrohung für die Menschheit, da sie uns alle Chancen nehmen, die Erderwärmung deutlich unter der wichtigen Schwelle von zwei Grad zu halten«, sagt Heffa Schücking, Urgewald-Geschäftsführerin. »Als wir unsere Recherche begannen, stellten wir fest, dass die meisten Banken und Investoren nicht wissen, welche Unternehmen hinter den Expansionsplänen stecken. Unsere Datenbank schließt diese Lücke, indem sie die Größten und Wichtigsten auflistet. Es ist ein zukunftsorientiertes Werkzeug für Banken und Investoren, um solche Kohlefirmen von weiteren Geschäften auszuschließen.«

Somit schließt sich einmal mehr der Wirkungskreis des Vorgehens der kleinen Nichtregierungsorganisation: Denn Schücking, die Urgewald 1992 auf dem 250 Jahre alten Landsitz ihrer Familie in Sassenberg gründete, in dem der gemeinnützige Verein noch immer seinen Sitz hat, erkannte früh, dass der effektive Hebel gegen Umweltzerstörung darin liegt, verantwortlichen Konzernen langfristig den Geldhahn abzudrehen. »Hinter jeder Streubombenfabrik und jeder Kohlemine steht eine Bank, die sie finanziert. Sie finden Streubomben und Kohleminen nicht gut? Dann sorgen Sie dafür, dass es nicht Ihre Bank ist«, sagt Schücking, die für ihren Einsatz gegen die deutsche Beteiligung an der Abholzung von Regenwäldern 1994 als erste Deutsche mit dem international renommierten Goldman-Umweltpreis ausgezeichnet wurde.

Die Liste der Erfolge von Urgewald kann sich sehen lassen: 2011 erstritten die Aktivisten den weitgehenden Ausstieg deutscher Banken aus der Finanzierung von Streumunition. 2012 wurde der Bau des AKW Belene in Bulgarien durch eine Kampagne gegen Banken und Konzerne wie Deutsche Bank, Commerzbank und RWE verhindert; 2015 überzeugte eine Urgewald-Kampagne den norwegischen Pensionsfonds, klimaschädliche Kohleinvestitionen weitgehend aus seinem Portfolio auszuschließen.

Dabei hebt sich Urgewald von anderen Umweltschutzaktivisten ab, da die Organisation nie nur die Umwelt, sondern immer auch die betroffenen Menschen im Blick hat. Daher auch die Selbstbezeichnung als Umwelt- und Menschenrechtsorganisation. Den mittlerweile 17 Mitarbeitern von Urgewald ist klar, dass Umweltschutz, verstanden und praktiziert als »konservationistischer« Naturschutz, auf das Konzept eines Regenwalds als Park hinausläuft, in dem die dort lebenden Menschen im besten Fall vergessen, im schlimmsten Fall aber daraus vertrieben werden.

Solch reinem Naturschutzansatz steuert Urgewald entgegen. Die Spezialität der Aktivisten sind kritische Reden und Auftritte auf Aktionärsversammlungen von Konzernen im In- und Ausland. Von Urgewald geladene Gäste aus dem globalen Süden nutzen dann das ihnen übertragene Rederecht als Aktionär und üben direkt Kritik am Firmengebaren in ihrem Heimatland. Dabei geht es oft um Kohleminen, Atomkraftwerke, Saudämme oder andere Infrastrukturprojekte, bei denen die Rechte der lokalen Bevölkerung missachtet werden. Einen weiteren Hebel setzt Urgewald als Mitglied des Dachverbands Kritischer Aktionäre geschickt ein: Mit dem Kauf nur einer Aktie gibt die Organisation den oft Rechtlosen dieser Welt in Konzernhauptversammlungen und Medien eine Stimme.

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