Deutsche Autokonzerne unter Kartellverdacht

Bericht: Absprechen im Geheimen seit den 1990ern - womöglich Grundlage für Dieselskandal / Linkspartei kritisiert kriminelle Energie der Konzerne

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Es könnte einer der größten Kartellfälle der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte sein – mehrere Konzerne der Autoindustrie stehen unter Verdacht: Die großen Autobauer haben sich einem »Spiegel«-Bericht zufolge seit den 1990er Jahren in geheimen Arbeitsgruppen über ihre Fahrzeuge abgesprochen und womöglich auf diese Weise den Weg für den Diesel-Abgasskandal geebnet. Das Magazin berief sich am Freitag auf einen Schriftsatz, den Volkswagen bei den Wettbewerbsbehörden einreichte. Auch Audi, Porsche, BMW und Daimler sollen beteiligt gewesen sein.

Dem Nachrichtenmagazin zufolge stimmten sich seit den 1990er Jahren mehr als 200 Mitarbeiter der Unternehmen in über 60 Arbeitsgruppen ab. Dabei soll es um die Technik der Fahrzeuge, Kosten, Zulieferer, Märkte, Strategien und die Abgasreinigung der Dieselfahrzeuge gegangen sein. Bei den Absprachen soll es um alle Bereiche der Entwicklung gegangen sein, um Benzin- und Dieselmotoren, Bremsen, Kupplungen und Getriebe. Die Hersteller besprachen dem »Spiegel« zufolge auch die Auswahl von Lieferanten, die Preise von Bauteilen und die Abgasreinigung ihrer Dieselfahrzeuge.

Der Linkspartei-Politiker Herbert Behrens reagierte mit Entsetzen auf die Berichte. »Sollten sich die heutigen Meldungen zu Absprachen in der Automobilindustrie bestätigen, dann hätten die betreffenden Konzerne damit nicht nur die Zulieferer geschädigt, sondern auch ihre Kunden und vor allem die Gesundheit der in Innenstädten lebenden Menschen. Und das dabei zu Tage getretene Maß an krimineller Energie in der Branche wäre wirklich erschreckend«, sagte der frühere Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zum Abgasskandal.

In Richtung von Verkehrsminister Alexander Dobrindt sagte Behrens, dieser habe »trotz eindeutiger Hinweise auf Abschalteinrichtungen aus seiner Untersuchungskommission allen Herstellern die Absolution erteilt, die deren Verwendung nicht selbst zugegeben haben. Das macht ihn zum Teil des Kartells und disqualifiziert ihn als Minister vollkommen.« Unter diesen Umständen sei der angekündigte Diesel-Rettungsgipfel »eine Farce«. Es sollte nun »allen Beteiligten klar sein, dass sich unter dem Credo ›der Diesel ist tot, es lebe der Diesel‹ eine ganze Branche Richtung Abgrund bewegt, was zig-tausende Arbeitsplätze gefährdet«, so der Bundestagsabgeordnete.

VW reichte laut dem Bericht den Schriftsatz demnach bereits am 4. Juli des vergangenen Jahres ein. Darin erklärt der Autobauer selbst, dass »der Verdacht« bestehe, dass es zu »kartellrechtswidrigem Verhalten« gekommen sei. Auch Daimler soll einen Schriftsatz eingereicht haben. Die Autobauer wollten sich allesamt zu dem Bericht am Freitag nicht äußern. »Zu Spekulation und Sachverhaltsvermutungen auf Grundlage der 'Spiegel'-Berichterstattung äußern wir uns nicht«, erklärte ein VW-Sprecher. Der Konzern nahm damit auch für die Marken Audi und Porsche Stellung. Auch BMW und Daimler erklärten, die Spekulationen nicht zu kommentieren. Das Bundeskartellamt war zunächst nicht erreichbar.

Vor dem Hintergrund des Dieselskandals wird damit deutlich, dass auf diese Weise die Grundlage dafür gelegt worden sein könnte. Dem Bericht zufolge stimmten sich die Autobauer seit 2006 darüber ab, wie groß die Tanks für das Harnstoffgemisch AdBlue sein sollten, mit dem Stickoxide in die harmlosen Bestandteile Wasser und Stickstoff aufgespalten werden. Die Autohersteller verständigten sich dem Bericht zufolge auf günstigere kleine Tanks. Die darin enthaltene Menge AdBlue reichte später nicht mehr aus, um die Abgase ausreichend zu reinigen.

Die Dieselaffäre war vor knapp zwei Jahren ins Rollen gekommen, als VW nach US-Ermittlungen einräumte, in Millionen von Fahrzeugen eine Schummelsoftware eingesetzt zu haben. Diese sorgte dafür, dass der Schadstoffausstoß bei Tests durch die Behörden niedriger ausfiel als später auf der Straße. Auch andere Autobauer, darunter Daimler, sehen sich mit solchen Vorwürfen konfrontiert. Agenturen/nd

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