Deutschland blockiert Familiennachzug aus Griechenland
2000 bis 3000 Geflüchtete stecken in Griechenland fest - obwohl ihre Anträge auf Nachzug bewilligt worden sind
Zwei minderjährige Brüder aus Afghanistan sind seit März 2016 in Griechenland gestrandet. Sie haben im Oktober 2016 einen Antrag auf Familienzusammenführung mit ihrem in Deutschland lebenden Bruder gestellt. Deutschland hat der Überstellung zugestimmt. Die Überstellungsfrist ist am 24. Mai 2017 abgelaufen. Die beiden Brüder sitzen aber immer noch in Griechenland fest.
Solche und ähnliche Fälle dokumentiert die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl exemplarisch auf ihrer Website, um auf die Begrenzungen und Schwierigkeiten beim Familiennachzug von Geflüchteten aufmerksam zu machen. Deutsche Behörden bremsen die Zusammenführung systematisch, kritisiert der Verein.
In der sogenannten Dublin-Verordnung der Europäischen Union ist klar geregelt: Wenn eine Familie bei der Flucht getrennt wird, müssen die aufnehmenden Staaten dafür Sorge tragen, dass die Familienmitglieder wieder zusammenkommen können. Und zwar innerhalb von sechs Monaten.
Anscheinend blockieren die Behörden in Deutschland jedoch die Ausreise von 3000 Menschen aus Lagern in Griechenland, die ein verbrieftes Recht auf Familiennachzug haben. Karl Kopp, Europareferent von Pro Asyl, kritisierte die Maßnahmen scharf: »Wir haben Fälle, wo Menschen gewartet haben und inzwischen gestorben sind«, sagt Kopp gegenüber dem Mitteldeutschen Rundfunk.
Der rechtliche Status dieser Menschen ist eindeutig. 2000 bis 3000 Geflüchtete haben die nötigen Anträge bereits gestellt. Obwohl auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in diesen Fällen bereits die Erlaubnis für eine Einreise ausgegeben hat, sitzen die Antragssteller nach wie vor in den griechischen Lagern fest. Während am Anfang des Jahres 2017 noch etwa 500 Geflüchtete pro Monat über den Familiennachzug nach Deutschland kamen, sind es inzwischen nur noch 100.
Das Innenministerium rechtfertigt den stockenden Familiennachzug mit Verweis auf den großen Koordinierungsaufwand. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, findet das kein plausibles Argument. Mit Verweis auf die momentan größtenteils leerstehenden Unterkünfte für Geflüchtete in Deutschland kritisiert sie das Innenministerium: »Ich finde das geht gar nicht, insbesondere was die Kinder angeht, die monatelang ohne Mutter oder Vater sind.«
Die langen Wartezeiten auf Familiennachzug sind laut Kopp von Pro Asyl nicht nur für die in Griechenland Wartenden hinderlich: »Es blockiert Menschen auch hier, im Hinblick auf Ankunft in dieser Gesellschaft. Die Leute sind verzweifelt und haben Angst um ihre Lieben, die noch auf dem Weg sind.«
Wenn das Innenministerium die Anträge künftig nicht schneller bearbeitet, könnte es Jahre dauern, bis die Geflüchteten ihr Recht gewährt bekommen, sich mit ihren Familien zu vereinen. Pro Asyl vermutet hinter der Drosselung der Bearbeitung der Anträge, die wohl mit den griechischen Behörden abgesprochen ist, politisches Kalkül. Es solle sich rumsprechen, dass es nicht mehr so einfach ist mit dem Familiennachzug und Familienangehörige manchmal bis zum »Nimmerleinstag« warten müssen, vermutet Kopp.
Der Verein will jetzt vor Verwaltungsgerichten in Deutschland klagen, schon in den nächsten Wochen sollen die ersten Fälle verhandelt werden. Durch die Klagen sollen die Geflüchteten zu ihrem Recht auf Familiennachzug gebracht werden.
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