Big Bang in Tegel

Vor vier Wochen wäre der Flughafen fast kollabiert, weil ein Stromkabel abgesoffen war

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.
Engelbert Lütke Daldrup sieht keine Zukunft für Tegel als Airport.
Engelbert Lütke Daldrup sieht keine Zukunft für Tegel als Airport.

Dauerregen kann der Flughafen Tegel gar nicht gut vertragen. Als vor etwa vier Wochen ein Jahrhundertregen über der Hauptstadt niederging, konnten am Flughafen im Berliner Nordwesten nicht nur viele Flugzeuge nicht pünktlich starten, sondern der ganze Betrieb Tegels stand zur Disposition. Weil große Mengen Wasser in einen Schacht eingedrungen waren, versagte eines der beiden Kabel, über die der Airport vom militärischen Bereich aus mit Strom versorgt wird. Wäre das zweite Kabel, das noch aus den 1970er Jahren stammt, ebenfalls kaputt gegangen, wären in Tegel alle Lichter ausgegangen. »Wir haben 14 Tage ein bisschen gezittert«, sagt Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup. Die Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg hat an diesem Dienstag eine Besichtigung des Areals organisiert.

Auf der Tour durch die maroden, veralteten Gebäudeensemble aus den 1960er und 1970er Jahren wird schnell deutlich, dass hier in den vergangenen Jahren alles auf Verschleiß gefahren wurde. Rund 18 000 Störfälle gibt es insgesamt im Jahr. Das reicht von der kaputten Glühbirne bis zu schwereren Havarien wie vor Kurzem bei der Stromversorgung.

Die steigende Zahl der Probleme hat auch viel mit der Flughafenpolitik zu tun. Die andernorts gängigen Investitionen wurden in Tegel größtenteils unterlassen, weil natürlich auch die Flughafengesellschaft die Politik des Konsensbeschlusses verfolgt, spätestens ein halbes Jahr nach der Eröffnung des BER Tegel zu schließen. »Hier gibt es nur noch den Big Bang«, sagt Lütke Daldrup. Der Flughafenchef schätzt, dass eine Sanierung des Flughafens rund eine Milliarde Euro kosten würde: »Allein für die Gebäude wären 550 Millionen Euro fällig, 350 Millionen Euro für die Erneuerung der Verkehrswege und 250 Millionen Euro für die Infrastruktur.«

Hinzu würden zusätzliche Kosten für einen Doppelbetrieb, der dann zwei Flughäfen in Schönefeld und in Tegel umfasst, kommen. Rund 500 Mitarbeiter würden zusätzlich gebraucht, pro Jahr würden der Flughafengesellschaft durch den Parallelbetrieb zusätzliche Kosten zwischen 100 und 200 Millionen Euro entstehen. Anders als beim Singlestandort braucht es bei zwei Standorten für den Betrieb zwei Flughafenfeuerwehren, zwei Sicherheitsteams, es müssen mehrere Terminals gemanagt werden und vieles mehr.

Das entspricht natürlich auch der Argumentationslinie der rot-rot-grünen Senatskoalition, die gegen den Nostalgiehype der Tegel-Fans zuletzt in der Hauptsache auf wirtschaftliche Argumente setzt. Tatsächlich gibt es bei der Offenhaltung Tegels nicht nur ungelöste rechtliche Fragen, vor Ort zeigt sich auch immer wieder, wie unrealistisch es wäre, den Weiterbetrieb hinzubekommen. Denn die Liste der Probleme in Tegel ist lang: Der einst für fünf bis sieben Millionen Passagiere gebaute Flughafen fertigt zwar auf wundersame Weise 21 Millionen Fluggäste im Jahr ab. Dass das aber einer Überfüllung gleichkommt, erleben Reisenden in den vergangenen Monaten häufig. Es gab große Probleme bei der Gepäckabfertigung, die neben den Bodendienstleistern vor allen durch die veraltete Gepäckanlage verursacht wurden, die etwa überhaupt nicht für Langstreckenflüge mit bis zu 300 Passagieren ausgelegt ist.

Wie massiv die Unterschiede in den Standards zu einem modernen Flughafen in vielen Punkten sind, zeigt sich beispielsweise bei der vergleichsweise sehr lauten Belüftungsanlage, die noch mit historischen Aktivkohlefiltern funktioniert. Auch in der Leitstelle, wo alle Störungen aufgenommen werden, sieht es antiquiert aus. »Wir sind hier in einer Struktur, die den Geist der 1970er Jahre atmet«, sagt Ralph Struck. Er ist in Tegel für das sogenannte Facility Management zuständig. Das Einzige, was in der Leitstelle auf den ersten Blick digital anmutet, ist eine Anzeige, die informiert, wie viel Strom gerade verbraucht wird.

Es sind in diesem Moment 4,3 Megawatt, das ist deutlich mehr als noch vor zehn Jahren, weil die danach zusätzlich errichteten Gebäude und Terminals mitversorgt werden müssen. Riesige Monitorwände wie in der Leitstelle des in Bau befindlichen BER sucht man in Tegel dagegen vergebens. Hier ist alles auf dem Genehmigungsstandard der 1960er Jahre stehengeblieben. Ähnlich minimalistisch sieht es bei der Entrauchung und der Sprinkleranlage in Tegel aus, die sich geradezu niedlich zu der Anlage ausmacht, die irgendwann einmal auf dem BER funktionieren soll.

Überfüllung, mangelnde Sicherheit, kostspielige Sanierungen. Wie die Tegel-Fans eine Offenhaltung konkret umsetzen wollen, haben sie bislang nicht wirklich dargelegt. Bereits so dürften auf Berlin bezüglich der Nachnutzung der Tegel-Gebäude viele Probleme zukommen. Denn nicht nur Kabel, Leitungen und Technik sind veraltet, in den 1960er Jahren wurden zu Brandschutzzwecken auch häufig Asbest verwendet. »Sie können davon ausgehen, dass hier alles verbaut wurde«, sagt Engelbert Lütke Daldrup. Und: »Schadstoffe sind ein Thema.«

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