Bin kaum da, muss schon fort

Studie: Befristet Beschäftigte interessieren sich kaum für betriebliche Interessenvertretung

  • Florian Haenes
  • Lesedauer: 3 Min.

Die wenigsten Arbeitnehmer sind noch Mittglied einer Gewerkschaft. Hängt mit der »Generation Y« zusammen, lautet die allgemeine Krisenanalyse: Wer zwischen 1980 und 1990 geboren wurde, strebe nach Work-Life-Balance, Erfüllung und Selbstverwirklichung - Ich. Ich. Ich. - weshalb in den Lebensentwürfen kein Platz mehr für die Massenorganisation Gewerkschaft sei. Eine am Mittwoch veröffentlichte Studie der Hans-Böckler-Stiftung tritt dieser Auffassung entgegen. Deren Autoren sagen, junge Arbeitnehmer seien solidarisch und bewerteten eine betriebliche Interessenvertretung grundsätzlich positiv. Klingt nach Allgemeinplatz - und ist es auch, denn tatsächlich sollte ein genauer Blick auf die Studienergebnisse die Gewerkschaften ernsthaft ins Grübeln bringen. Befristet Beschäftigte erreichen sie nämlich nicht mehr.

Für die Studie waren Gespräche mit Arbeitnehmern im Alter zwischen 25 und 35 Jahren ausgewertet worden. Es zeige sich eine »überraschend« stabile Befürwortung des Prinzips der gewerkschaftlichen Stellvertretung, schreiben die Autoren. Überrascht kann da nur sein, wer zuvor eine Ablehnung annahm. Eine solch dezidierte Haltung hat die »Generation Y« jedoch gar nicht, dafür verhält sie sich Gewerkschaften gegenüber schlicht zu gleichgültig. Zwar schätzten jüngere Beschäftigte die schützende Wirkung kollektiver Regulierungen prinzipiell, heißt es in der Studie, sie wüssten jedoch häufig nicht einmal, wofür sich Gewerkschaften einsetzen. Solidarisch zeigten sich junge Arbeitnehmer im engsten Kollegenkreis. Darüber hinaus sei der Beteiligungsanspruch schwach. Was außerhalb der Abteilung passiert, interessiert nicht. Junge Beschäftigte seien in ihrer interessenpolitischen Ausrichtung klar individualistisch, schreiben die Autoren und loben sogar noch, das diese sich dabei nicht ausgrenzend verhielten - was allerdings auch kaum möglich ist, wenn Grenzen bloß noch zwischen atomisierten Ichs verlaufen.

Die Versuche der Autoren, ihre Ergebnisse umzudeuten, rutschen bisweilen ins Komische ab, etwa wenn sie aus den letzten Resten Kollegialität allen Ernstes Hoffnung für die Gewerkschaftsbewegung schöpfen. Doch ein Ergebnis weckt leichten Optimismus: Es zeigt, dass Individualisierung kein Naturgesetz ist, dass man sie umkehren kann.

Die Studie legt nahe, dass Arbeitnehmer, wenn sie sich in der Arbeitswelt erst einmal etabliert haben, ihre Erwartungen gegenüber einer Interessenvertretung zu Gunsten von Gewerkschaften verändern.

Die Autoren unterscheiden zwischen zwei Typen, die zwei unterschiedliche Phasen einer Erwerbsbiografie repräsentieren: Einmal der anpassungsfähige, zukunftsoptimistische, leistungswillige Typ. Sein Selbstbewusstsein zieht er aus Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Diese erhält er, indem er sich immerfort weiterbildet und im Übermaß arbeitet (und auch - das schreiben die Autoren nicht - indem er kaum noch dauernde Partnerschaften eingeht). Der andere Typ hat Familie, ist gebunden und eingeschränkt. Sein Ziel ist, Erreichtes zu sichern.

Beim zweiten Typ ließe sich eine deutliche Verschiebung der Ansprüche hin zu klassischen Arbeitnehmerinteressen beobachten, schreiben die Autoren. Die 34 für die Studie befragten Personen hätten überwiegend »labile und prekäre Übergänge in Erwerbsarbeit« erfahren, befänden sich nun aber fast ausnahmslos in unbefristeten Arbeitsverhältnissen, hätten häufig sogar Vertretungsämter inne, etwa im Betriebsrat. Es zeige sich, dass jüngere Beschäftigte ihre Beteiligungsansprüche den betrieblichen Bedingungen anpassen. Gewährt man jungen Beschäftigten unbefristete Verträge, verhalten sie sich also fast wie alte Gewerkschafter.

Doch eben nur fast. Denn die Erfahrung als leistungs- und anpassungswilliger Performer wirke nach. Einerseits verteidige der unbefristet Beschäftigte die Grenze zwischen Arbeit und Privatem umso entschiedener, anderseits habe der Wettbewerb jedoch Spuren in seinem Denken hinterlassen. Er nehme Verletzungen von Arbeitnehmerrechten, die durch ökonomische Sachzwänge begründet werden, bereitwilliger hin.

Der Zusammenhang zwischen der Befristung von Beschäftigung und dem Niedergang der Gewerkschaft liegt auf der Hand. Gewerkschaften sollte das zu denken geben. Sie waren es schließlich, die der rot-grünen Agendapolitik einst zustimmten und unbefristete Verträge zum Ausnahmefall machten.

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