Das Autokartell wird teuer
Opposition fordert Rücktritt von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt
Ihr kürzlich bekannt gewordenes Kartell könnte für die deutschen Autokonzerne teuer werden. Frank Schwope, Analyst bei der NordLB, geht davon aus, dass es sie mehr als zehn Milliarden Euro kosten könnte. Die EU-Kommission, so schätzt er, könnte fünf Milliarden Euro an Strafzahlungen einfordern. Mindestens noch einmal so viel könnte an Schadensersatz für Zulieferer und Autokäufer hinzukommen, sagte er im Interview mit der Deutschen Welle.
Schwope orientiert sich dabei an dem LKW-Kartell, das 2011 aufgeflogen war. Im vergangenen Jahr hatte die EU-Kommission gegen vier Autokonzerne Geldbußen in Höhe von knapp drei Milliarden Euro verhängt. Anhand der Anzahl der verkauften Pkw dürfte die Summe im aktuellen Fall allerdings höher ausfallen.
Laut dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« haben sich die fünf großen deutschen Autohersteller VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler seit den 1990er Jahren nicht nur illegal über Preise und Zulieferer, sondern auch über die Abgasreinigung ihrer Dieselfahrzeuge abgesprochen. Der Stuttgarter Konzern Daimler kann allerdings in Sachen Kartell darauf hoffen, ohne Strafe davonzukommen. Er hatte sich bei den Behörden selbst angezeigt. Auch VW hatte das getan, allerdings erst später. Damit ist für die Autobauer aus Wolfsburg immerhin noch ein Strafnachlass von bis zu 50 Prozent denkbar. Schadensersatzforderungen könnten beide Autobauer natürlich trotzdem erreichen.
Zu den Vorwürfen wollte man sich aber beim baden-württembergischen Autobauer nicht äußern. »Wir sind gut beraten, uns nicht an Spekulationen zu beteiligen«, sagte Vorstandschef Dieter Zetsche am Mittwoch bei der Vorstellung der Halbjahresbilanz. Die Zahlen, die der Manager da präsentieren konnte, waren noch recht gut: Der Umsatz stieg im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 7 Prozent auf rund 41,2 Milliarden Euro. Unterm Strich verdiente Daimler rund 2,51 Milliarden Euro - nach 2,45 Milliarden im zweiten Quartal 2016.
Nach dem Bekanntwerden des möglichen Kartells der deutschen Autoindustrie bereiten Umweltverbände neue Klagen vor. »Wir überlegen, ob wir eine Strafanzeige wegen Luftverunreinigung stellen«, sagt Werner Reh, Verkehrsexperte beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), gegenüber »nd«. Nach seiner Einschätzung gibt es für eine solche Anzeige jetzt bessere Chancen: »Man muss beweisen, dass die Autohersteller vorsätzlich gehandelt haben. Das liegt jetzt auf dem Tisch.«
Was die Konsequenzen aus der Dieselaffäre angeht, die nun immer größere Kreise zieht, baut Reh weniger auf die Regierung als auf die Justiz. »Die Politik ist eher der Kumpan der Autoindustrie«, erklärt er. Nur die Gerichte seien unabhängige Akteure. »Deshalb sind Gerichtsverfahren derzeit der einzige Weg, um gegen die Autoindustrie vorzugehen.«
Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht das so. Sie hat 16 Verwaltungsklagen eingereicht, mit denen sie Dieselfahrverbote in deutschen Städten erreichen will. »Unter größter Geheimhaltung führen derzeit vor allem Daimler, BMW, Audi und Volkswagen Verhandlungen mit den Bundesministerien für Verkehr und Umwelt sowie den Staatskanzleien von Baden-Württemberg und Bayern darüber, zu welchen freiwilligen Maßnahmen die Industrie bereit ist«, sagt DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch.
Er spielt auf den Diesel-Gipfel an, auf dem der Bund und mehrere betroffene Bundesländer am kommenden Mittwoch mit der Autobranche Nachrüstungen für Dieselautos der Abgasklassen Euro 5 und 6 vereinbaren wollen, um Schadstoffemissionen zu reduzieren. Anders gesagt: um Fahrverbote für Innenstädte zu vermeiden.
Sein Umgang mit der Abgasaffäre bringt auch Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) immer mehr unter Druck. Kurz vor der Ziellinie, die Legislaturperiode endet immerhin in zwei Monaten, fordert die Opposition seinen Rücktritt. »Minister Dobrindt hat trotz eindeutiger Hinweise auf Abschalteinrichtungen aus seiner Untersuchungskommission allen Herstellern die Absolution erteilt, die deren Verwendung nicht selbst zugegeben haben«, kritisiert der linke Abgeordnete Herbert Behrens, der den Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestags geleitet hatte. »Das macht ihn zum Teil des Kartells und disqualifiziert ihn als Minister vollkommen.«
Auch Anton Hofreiter, Ko-Chef der grünen Bundestagsfraktion, sieht das so. »Seit zwei Jahren vertuscht Alexander Dobrindt alle Probleme im Zusammenhang mit dem Dieselskandal«, nimmt er im sozialen Netzwerk Facebook Stellung. »Es ist allerhöchste Zeit, dass Merkel dem Verkehrsminister die Zuständigkeit entzieht.«
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