Richter segnen Dublin-System ab
Europäischer Gerichtshof erlaubt aber »Eintrittsklausel« für Flüchtlinge im Geist der Solidarität
Berlin. Als Kanzlerin Angela Merkel im September 2015 die Grenzen für in Ungarn ausharrende Flüchtlinge öffnete, sprachen flüchtlingsfeindliche Akteure von Rechtsbruch. Denn die geltende Dublin-III-Verordnung sieht vor, dass Asylsuchende ihren Antrag im Land der Einreise oder Erstregistrierung stellen müssen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat nun in einem Grundsatzurteil vom Mittwoch diese Argumentation gestützt. Er stellte fest: Auch in der Flüchtlingskrise gebe es keine Ausnahmen von den EU-Asylregeln. Die Richter verwarfen damit die Argumente der EuGH-Generalanwältin, die unter den damaligen besonderen Umständen ein Abweichen von den Dublin-Regeln für rechtens hielt.
Hintergrund des Urteils: Als sich 2015 und 2016 Hunderttausende Menschen über die sogenannte Westbalkanroute auf den Weg in die EU machten, ließen überforderte Staaten auf der Route die Menschen ungehindert über ihre Grenzen ziehen und halfen bei der Durchreise. So auch Kroatien.
Über den Fall von zwei Migranten, die über Kroatien nach Österreich und Slowenien reisten und dort ihren Asylantrag stellten, urteilten nun die Richter. Sie bestätigten die Auffassung der beiden Länder, wonach Kroatien nach den Dublin-Regeln in der Pflicht ist, die Asylverfahren abzuwickeln. Wenn ein EU-Staat aus humanitären Gründen die Ein- oder Durchreise erlaube, entbinde ihn das nicht von seiner Zuständigkeit für die Prüfung der Asylanträge. Der Grenzübertritt sei unter solchen Umständen weiter als illegal zu werten.
Gleichzeitig verwies der EuGH aber auf eine »Eintrittsklausel« im EU-Flüchtlingsrecht. Diese erlaube es anderen Staaten, »einseitig oder in abgestimmter Weise im Geist der Solidarität« Anträge von Flüchtlingen auf internationalen Schutz auch dann zu prüfen, wenn sie nach den Dublin-Regeln hierfür nicht zuständig sind. Pro Asyl bewertet die Klausel indes als »keinen wirklichen Ausgleich«. »Der EuGH«, so die Organisation, »verteidigt in seiner Auslegung den ›Besitzstand‹ der Staaten im Zentrum der EU - zulasten der Flüchtlinge und zulasten der Staaten an den EU-Außengrenzen.«
In zwei Punkten stärkte der EuGH allerdings auch Rechte der Migranten innerhalb des Dublin-Systems. Flüchtlinge dürften nicht in das eigentlich zuständige EU-Einreiseland zurückgeschickt werden, wenn ihnen dort wegen der hohen Zahl der Flüchtlinge eine unmenschliche Behandlung droht. Und: Flüchtlinge dürfen ihre Anträge auf internationalen Schutz auch formlos stellen. Mit dem Eingang eines Schriftstücks bei den zuständigen Behörden beginnen demnach die im EU-Asylrecht vorgesehenen Fristen, auf die sich der Antragsteller berufen kann.
Vertreter der Bundesregierung interpretierten das Urteil am Mittwoch als Bestätigung ihrer Politik.
Was diese Urteile wert sind, wird sich zeigen. Denn die EU will mit ihrer geplanten Dublin-IV-Reform gerade die Instrumente streichen, die eine Solidarität und humanitäre Aufnahme ermöglichen. gsp/Agenturen Seite 2
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