Knackiwurst
In Niedersachsens allersicherstem Gefängnis sollen Häftlinge Fleisch gestohlen und verarbeitet haben - in rauen Mengen
Für knapp fünf Euro ist der Flaschenöffner in Handschellenform zu haben, ein aufwändiger Edelstahlgrill steht mit 395 Euro im Katalog, die maßgeschneiderte Anwaltsrobe mit Seidenbesatz kostet den Verteidiger 215 Euro: Alles zu haben im Online-Shop der Justizvollzugsanstalt Celle. Alles hergestellt von Häftlingen in der Schlosserei, in der Schneiderwerkstatt, ganz legal via Internet in den Handel gebracht. Ist hinter den Gefängnismauern auch illegaler Handel getrieben worden? Mit Fleisch, das Insassen, unterstützt von einem JVA-Mitarbeiter, aus der Knast-Küche gestohlen haben?
Beantwortet werden soll diese Frage am 26. Oktober vor dem Amtsgericht in Celle. Dort müssen sich die acht des Fleischdiebstahls verdächtigen Männer verantworten. Ebenso ihr mutmaßlicher Komplize aus den Reihen der Justiz, dem die Staatsanwaltschaft Beihilfe zur Unterschlagung vorwirft. Für einen Strafprozess mit neun Angeklagten nebst Verteidigern sind die Räume des Amtsgerichts zu klein, und so wird im großen Saal des Oberlandesgerichts Celle verhandelt.
Bei dieser Entscheidung dürften die Verantwortlichen auch die zu erwartenden Besucher und Medienvertreter berücksichtigt haben, sorgt doch das Geschehen mittlerweile bundesweit für Interesse und für Verwunderung. Immerhin gilt die JVA Celle als eines der am schärfsten bewachten und kontrollierten Gefängnisse.
Konnten die Angeklagten dort trotz aller wachsamer Augen eine heimliche Wurstküche, vielleicht sogar eine verborgene Räucherei betreiben? Fest steht: 46 Kilogramm Fleisch, die irgendwann in irgendwelcher Form den Speiseplan der JVA bereichern sollten, wurden entwendet. Davon blieben rund 31 Kilogramm roh, vielleicht zum Schnitzelbraten, in persönlichen Kühlfächern von Gefangenen liegen. Gut zehn Kilo wurden zu Bratwürstchen, fünf Kilo zu Mettenden verarbeitet. All dies entdeckten Beamte bei Kontrollen in Teeküchen auf Häftlingsstationen.
Bratwürstchen lassen sich nun mal nicht »so nebenbei« während des regulären Küchenbetriebe eines Gefängnisses herstellen. Das Fleisch muss durch den Wolf gedreht, gewürzt und in Därme gefüllt werden. Wenn längere Haltbarkeit des Produkts angestrebt wird, ist auch noch ein Brühvorgang vonnöten. Das dampft! Und um herzhaft-knackige Mettenden zu bekommen, ist neben einer besonderen Würzung in der Regel ein Aufenthalt jener Köstlichkeit im Räucherofen erforderlich. Das duftet! Wie haben die vermeintlichen Wurstköche dies alles bewerkstelligen und verbergen können in einer Anstalt, die doch Niedersachsens allersicherstes Gefängnis sein soll?
Diesen Ruf hat sie bereits seit ihrer Gründung im Jahre 1710. Im damals »Werk-, Zucht- und Tollhaus« genannten Komplex wurden neben Schwerverbrechern auch psychisch Kranke eingesperrt, und von Anfang an auch politisch »Verdächtige«. Der Hitlerfaschismus setzte das fort, steckte beispielsweise den ihnen verhassten Celler KPD-Vorsitzenden Otto Elsner sowie weitere Kommunisten und Widerstandskämpfer in das Zuchthaus. Auf seinem Gelände verscharrten die Nazis im Frühjahr 1945 kurz vor Ende des Krieges 228 Gefangene, die infolge katastrophaler Haftbedingungen in der völlig überbelegten Anstalt gestorben waren.
Wird sie auch heute noch häufig »Zuchthaus« genannt, so hat sie diese Bezeichnung doch seit Jahrzehnten abgelegt, heißt mittlerweile, wie alle anderen Gefängnisse im Land, Justizvollzugsanstalt. An ihrer Klientel hat sich indes einiges geändert. Wegen eines einmal begangenen Fleischdiebstahls kommt zwar niemand hinter die Gitter des im Laufe der Jahrzehnte modernisierten und erweiterten Gefängniskomplexes, aber längst nicht mehr sitzen dort nur Mörder oder Räuber.
Die Anstalt hat 222 Haftplätze für männliche Gefangene, die älter als 24 Jahre sind und die länger als fünf Jahre »brummen« müssen. Die Dauer ihres Aufenthaltes ist nicht selten die Folge einer einzelnen schweren Straftat sein, erläutert das Justizministerium, aber: Auch die »Summierung mehrerer Einzelstrafen aufgrund unterschiedlicher minder schwerer Delikte« könne in eine Celler Zelle führen.
Zu den minder schweren Straftaten zählt zweifelsohne solch ein Fleischdiebstahl, wie er derzeit für Aufregung sorgt. Dennoch winken den Angeklagten, wenn sie denn für schuldig befunden werden, bis zu drei Jahren Haft oder Geldstrafen. Das ihnen vorgeworfene Tun hat bereits Eingang in das von Häftlingen gestaltete Knast-Magazin »Damokles« gefunden: »Schnitzeljagd in der JVA Celle« haben die Blattmacher ihren Text zu dem Geschehen betitelt, zu dem noch allerlei Fragen offen sind: Weshalb wurden Schnitzel gebunkert, weshalb Würstchen gestopft? Haben die Angeklagten sie an Mitgefangene verkauft? Oder selbst gegessen aus Frust über die Gefängniskost, gar aus Hunger?
Letzteres wohl kaum, wenn die Strafanstalt ihren Speiseplan vorschriftsgetreu aufgestellt hat, befiehlt doch das Gesetz: Die Gefangene sind gesund zu ernähren! Und zwar vollwertig und auch abwechslungsreich. Gefangene, die arbeiten oder an Bildungsmaßnahmen teilnehmen, erhalten zudem eine Zwischenmahlzeit, erfuhr »nd« aus Niedersachsens Justizministerium. Darüber hinaus können alle Insassen »durch Vermittlung der Vollzugsbehörde« Nahrungs- und Genussmittel von einem Kaufmann erwerben.
Haben sich die mutmaßlichen Wurst- und Schnitzelmacher auch kaufmännisch betätigt, in dem sie Produkte ihrer illegalen Metzgerei innerhalb der JVA-Stationen verhökerten? Das ist nur eine der Fragen im Kontext des gesamten, von der Öffentlichkeit mit Aufmerksamkeit betrachteten Geschehens. Wenn der Fleischklau auch längst nicht so spektakulär ist wie andere Ereignisse, die das Gefängnis vor Jahren in die Schlagzeilen brachte.
So etwa eine Geiselnahme im Oktober 1991: Vier Häftlinge überwältigten mit selbst gebastelten Waffen drei JVA-Beamte, legten ihnen mit Sprengstoff gefüllte Halskrausen um, erpressten sich einen Fluchtwagen und zwei Millionen D-Mark. Die Täter wurden zwei Tage später gefasst. Gescheitert war auch der Erpressungsversuch eines Häftlings, der im Februar 1996 erst seine Sozialarbeiterin vergewaltigte, dann auch die damalige Gefängnisdirektorin, die sich als Ersatzgeisel zur Verfügung gestellt hatte. Der Mann hatte wegen Mordes und Vergewaltigung eingesessen.
Was die nun wegen des Fleischdiebstahls angeklagten Männer in die JVA gebracht hatte, war von offizieller Seite nicht zu erfahren. Persönlichkeitsrechte verbieten eine Auskunft dazu, so das Justizministerium. Wie aus anderer Quelle verlautet, zähle zu den mutmaßlichen Dieben einer jener Männer, die 2007 im niedersächsischen Kreis Rotenburg/Wümme in einem China-Restaurant sieben Menschen erschossen haben. Auch ein Raubmörder, der 2012 in Hannover eine Rentnerin totgeschlagen hatte, soll dem Wurstteam angehören.
An Menschen, die ins Licht der Öffentlichkeit gerieten, mangelt es in der Häftlingsliste der JVA nicht. Verzeichnet ist darauf beispielsweise der sich selbst »Totmacher« nennende, 1946 und 1947 wütende Serienmörder Rudolf Pleil sowie der von 1965 bis 1968 wegen Bankraubs einsitzende spätere Schauspieler Burkhard Driest, bekannt unter anderem durch seinen autobiografischen Film »Die Verrohung des Franz Blum«.
Zu den »besonderen« Insassen gehörten auch Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF). Eigens für sie war die JVA 1972 um einen besonders gesicherten Trakt und eine hohe Betonmauer erweitert worden. In sie hatte Niedersachsens Verfassungsschutz 1978 eine Öffnung sprengen lassen. Die Aktion sollte einen Anschlag vortäuschen mit dem Ziel, einen Spitzel in die RAF einzuschleusen.
Das Geschehen, das viel Wirbel in der Politik auslöste, ging als »Affäre Celler Loch« in die Geschichte ein. Welche Löcher im hoch gerühmten Sicherheits- und Kontrollsystem der JVA die »Affäre Schnitzel« möglich gemacht haben, wird wohl erst im Laufe des bevorstehenden Strafprozesses aufgedeckt.
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