1,5 Millionen Autos oben drauf
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks besuchte VW-Werk in Wolfsburg
Wer mit dem Zug nach Wolfsburg fährt, weiß sofort, was Phase ist. Wo sich in anderen deutschen Großstädten ganze Stadtviertel und Einkaufsmeilen an den Bahntrassen entlang reihen, gibt es in der niedersächsischen Stadt nur braune Backstein-Industriegebäude mit Schloten. Auf den dazu gehörigen Mitarbeiterparkplätzen findet man bis auf einen verlorenen Renault oder einen Mercedes eigentlich nur eine Automarke. Auch von den Gebäuden prangt weit sichtbar in weißen Lettern auf blauem Grund, wer in Wolfsburg das Sagen hat: VW - Volkswagen.
Als Bundesumweltministerin Barbara Hendricks mit dem Zug aus Berlin am Donnerstagmorgen in der Stadt ankommt, nieselt es leicht - wie so häufig diesen Sommer. Ihr Besuch bei Volkswagen ist die erste Etappe einer zweitägigen Sommerreise durch Niedersachsen und Hamburg. Später wird es noch ins Otterzentrum in Hankensbüttel, zu einem Naturschutzprojekt in der Lüneburger Heide und auf eine Bootstour auf der Elbe gehen.
In Wolfsburg spricht die Ministerin erst mal mit der Konzernspitze von Volkswagen. Hinterher treten die Ministerin und VW-Chef Matthias Müller für ein Statement vor die aus Berlin mitgereisten Journalisten. Müller in einem nicht ganz zusammenpassenden Anzug erklärt, es sei ein sehr gutes und sehr offenes, teilweise aber auch sehr kritisches Gespräch gewesen, das er mit der SPD-Frau geführt habe. Sonst zeigt sich der Manager recht einsilbig. Fragen von Journalisten lässt er keine zu.
Die Ministerin ist da schon gesprächiger. Sie erzählt, dass sie ihre Enttäuschung und die ihrer Kollegen in Berlin zum Ausdruck gebracht habe. Sie spricht von einem Vertrauensverlust, den die Pkw-Industrie seit mittlerweile zwei Jahren durch das Aufdecken der massenhaften Manipulation von Abgaswerten erleide. Damals seien die deutschen Ingenieurskünste in die falsche Richtung mobilisiert worden, meint Hendricks. Aber auch die Regierung dürfe nicht so tun, als trage sie keine Verantwortung für den Skandal. Vielleicht sei die Nähe der Politik zur Industrie in der Vergangenheit etwas zu groß gewesen.
Wie vergangene Woche bekannt wurde, ist Volkswagen in einen weiteren Skandal verwickelt. Dieses Mal geht es um ein Kartell, das VW zusammen mit seinen Töchtern Audi und Porsche sowie Daimler und BMW gebildet haben soll. In diversen Arbeitsgruppen sprachen sich die fünf Unternehmen anscheinend seit den 1990er Jahren über diverse Themen ab wie Cabriolet-Verdecke, Motoren und Abgasreinigung. Bundeskartellamt und EU-Kommission ermitteln bereits seit geraumer Zeit wegen möglicher Wettbewerbsverletzungen. Die Sache ins Rollen brachte eine Selbstanzeige von Daimler 2014 und Volkswagen vor gut einem Jahr.
»Es ist weltweit üblich, dass Autohersteller sich zu technischen Fragen austauschen, um so die Innovationsgeschwindigkeit und -qualität zu steigern«, behauptete VW nach einer Sondersitzung, auf der der Vorstand den Aufsichtsrat über den aktuellen Sachstand zu »möglichen Kartellrechtsfragen« informierte. »Zu Details dieser Fragen und zu Spekulationen, die unter anderem Gegenstand der öffentlichen Diskussion sind«, nehme der Konzern derzeit keine Stellung, hieß es. Da informierte man lieber über die Zahlen des ersten Halbjahres, die wieder sehr gut aussehen: eine Umsatzsteigerung und eine nahezu Verdopplung des Ergebnisses vor Steuern auf 9,0 Milliarden Euro.
Auch auf dem »Diesel-Gipfel« kommende Woche soll nicht über Kartellvorwürfe gesprochen werden. Jedoch belasteten diese Vorwürfe natürlich die anstehenden Gespräche, so Hendricks, die zusammen mit Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), der Automobilindustrie sowie Vertretern von Ländern und Kommunen über Nachrüstungen bei den Dieselmotoren diskutieren will.
Während es nicht das erste Mal ist, dass sich Hendricks mit der Autolobby verbal anlegt, gerät Dobrindt zusehends in die Kritik. Umweltverbände und Opposition werfen ihm eine zu große Nähe zur Automobilbranche vor und fordern seinen Rücktritt. »Unser Wohlstand von heute ist ohne das Auto nicht denkbar, und unser Wohlstand von morgen wird ohne Auto nicht möglich sein. Das ist Teil der Realität in Deutschland«, stellte sich Dobrindt demonstrativ hinter die Industrie - im Januar 2016 kurz nach Bekanntwerden des Abgasskandals, in dem die Marke VW im Mittelpunkt steht.
Immerhin zeigte der Konzern bei Hendricks Besuch so etwas wie Reue. Die Nachrüstung von vier Millionen Autos kündigte Müller an. Man wolle nämlich einen Beitrag leisten, »dass dieser Gipfel ein Erfolg wird«.
Doch sind dabei schon die 2,5 Millionen Autos enthalten, deren Rückruf bereits angekündigt war. Der Konzern legte nun also mit Blick auf den »Diesel-Gipfel« nur 1,5 Millionen Autos, die man für den freiwilligen Rückruf identifiziert habe, als Zeichen des guten Willens obendrauf. Und darin sind jene 600 000 Autos enthalten, deren Rückruf die Tochter Audi vor einigen Tagen bereits angekündigt hatte.
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