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»Seht her, ihr Bastarde, so gut kann eine Jüdin sein«

Gretel Bergmann wurde von den Nazis um den Olympiasieg gebracht. Nun ist die ehemalige Hochspringerin im Alter von 103 Jahren in New York gestorben

  • Maria Jordan
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ich war die große jüdische Hoffnung«, schreibt Margaret Lambert, ehemals Gretel Bergmann, in ihrer Autobiografie. Denn hätte das nationalsozialistische Regime sie nicht von den Olympischen Spielen 1936 in Berlin ausgeschlossen, wäre Bergmann vermutlich als beste deutsche Hochspringerin und Siegerin bei Olympia in die Geschichte eingegangen. Und nicht nur das: Sie hätte vor einem Weltpublikum, der gesamten politischen Führung des NS-Regimes, ja, vor Adolf Hitler höchstpersönlich beweisen können: »Seht her, ihr Bastarde, so gut kann eine Jüdin sein!«. So hat Bergmann selbst einmal ihren Ehrgeiz in diesem olympischen Sommer erklärt.

Kurz vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges geboren, wuchs sie in der oberschwäbischen Kleinstadt Laupheim auf. Dort verlebte sie mit ihren Eltern und den zwei Brüdern eine, wie sie selbst schreibt, unbeschwerte Kindheit. Schon im Grundschulalter trat Bergmann dem örtlichen Turn- und Sportverein bei - der Beginn einer vielversprechenden sportlichen Laufbahn. Mit 16 Jahren wurde sie süddeutsche Meisterin, mit 1,55 Metern Höhe landete sie damit sofort auf Platz vier der damaligen deutschen Bestenliste. Schon bald galt sie als eine der vielversprechendsten deutschen Hochspringerinnen.

Das war 1932. Schon ein Jahr später, kurz nach der Machtübernahme durch die Nazis, wendete sich das Blatt. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wurde Bergmann aus ihrem Ulmer Turnverein geworfen. Man informierte sie schriftlich darüber, dass sie dort nicht mehr willkommen sei. »Vergessen die schönen Stunden, die wir zusammen verbracht hatten, vergessen die vielen Medaillen, die ich für den Verein gewonnen hatte, vergessen die Kameradschaft«, schreibt sie in ihrer Biografie über diesen Tag. Von da an gab es für die damals 18-Jährige in Deutschland keine sportliche Perspektive mehr. Also ging Bergmann nach England, um dort ihre Hochsprungkarriere fortzusetzen. Ihr Traum war weiter das Olympiateam - nun eben das der Briten.

Den Nazis war sie damit dennoch nicht entkommen. Amerika und andere teilnehmende Nationen drohten mit dem Boykott der Olympischen Spiele, wenn keine Juden für Deutschland antreten dürften. Die unter Zugzwang geratene nationalsozialistische Reichssportführung entschied notgedrungen, Bergmann als einzige jüdische Athletin für Deutschland bei den Olympischen Spielen in Berlin zuzulassen. Sie wurde zur Quotenjüdin.

Um Bergmann zu ihrer Rückkehr zu zwingen, drohte man mit Konsequenzen für die in Deutschland gebliebene Familie und die gesamte jüdische Sportbewegung. Bergmann beugte sich der Erpressung, doch sie behielt ihren Ehrgeiz und trainierte unter schlechten Bedingungen weiter. Mit Erfolg: Nur wenige Wochen vor den Olympischen Spielen knackte sie mit einer Sprunghöhe von 1,60 Meter den deutschen Rekord der Frauen. Für die jüdische Bevölkerung wurde Bergmann zum Symbol der Hoffnung.

Alles bereitete sich schließlich im Sommer 1936 auf die Olympischen Spiele vor. Die Amerikaner waren bereits auf einem Schiff Richtung Berlin, als Gretel Bergmann einen Brief vom Fachamt der Leichtathletik erhält. »Der Herr Reichssportführer, der die Mannschaft für die Olympischen Spiele auswählte, hat es nicht vermocht, Sie in die Mannschaft [...] einzureihen«, heißt es darin. Und weiter: »Sie werden auf Grund der in letzter Zeit gezeigten Leistungen wohl selbst nicht mit einer Aufstellung gerechnet haben.«

Die Nazis verübten an Gretel Bergmann einen gut durchdachten Coup. Sie entgingen dem Boykott und einem Eklat, wahrten ihr Gesicht vor der Sportwelt und schafften es trotz allem, die Jüdin in letzter Sekunde von Olympia fernzuhalten. Sie sei »Schachfigur in Hitlers politischem Täuschungsmanöver« gewesen, wie sie es selbst später beschrieb. Nicht einmal in der Presse wurde der Ausschluss von Bergmann erwähnt.

»Alles hätten sie mir sagen können, aber nicht, dass ich nicht gut genug sei«, gesteht Bergmann ihre Verbitterung über die Intrige ein. »Das hat mich sehr, sehr wütend gemacht. Ich hätte die ganze Bande umbringen mögen.« Ein Traum war geplatzt und ihr Stolz verletzt. Bergmann wollte diese Chance in Berlin nutzen, um vor den Augen der Welt die absurde Rassenideologie der Nazis zu widerlegen, sie wollte beweisen »dass Juden nicht diese schrecklichen Menschen waren, nicht so fett, hässlich, widerlich, wie sie uns darstellten«, wie sie sagte. »Ich wollte zeigen, dass ein jüdisches Mädchen die Deutschen besiegen kann.« Diese Chance wurde ihr verwehrt. Trotzdem ist sie sicher: »Gold, nichts anderes wäre es gewesen.«

Ein Jahr später verließ Gretel Bergermann Deutschland und emigrierte in die USA. Nur ein einziges Mal kehrte sie, knapp 60 Jahre später, in ihre einstige Heimat zurück, als ihr in Frankfurt der Georg-von-Opel-Preis als eine der »stillen Sieger« verliehen wurde. »Ich habe Deutschland, die Menschen und sogar die Sprache dafür gehasst, was es mir und den jüdischen Menschen angetan hat«, sagte Bergmann nach Ende des Krieges. Den Rest ihres Lebens verbrachte sie im New Yorker Stadtteil Queens, wo sie am Dienstag im Alter von 103 Jahren verstarb.

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