Stuttgart drohen Fahrverbote
Verwaltungsgericht fordert Land zu härterem Vorgehen gegen Dieselemissionen auf
Für den Diesel wird es zunehmend eng. In einem wegweisenden Urteil hat das Verwaltungsgericht Stuttgart am Freitag klargestellt, dass Luftreinhaltung und Gesundheitsschutz höher zu bewerten sind als die Eigentumsrechte von Dieselauto-Besitzern. Dieselfahrzeuge sind die Hauptverursacher der Luftverschmutzung, unter der viele deutsche Städte leiden.
Laut dem Urteil dürfen in Stuttgart künftig noch an maximal 18 Kalendertagen pro Jahr die Emissionsgrenzwerte überschritten werden. Das Land Baden-Württemberg müsse deutlich mehr gegen überhöhte Schadstoffwerte unternehmen als bislang geplant - wenn nötig auch ganzjährige Diesel-Fahrverbote im gesamten Stadtgebiet verhängen. Solche Verbote seien »rechtlich zulässig und unausweichlich«, so die Richter. Ihr Urteil dürfte Signalwirkung auch für den Rest der Republik haben.
Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Sie bemängelt, dass der Entwurf des sogenannten Luftreinhalteplans, den die Landesregierung als zuständige Instanz vorgelegt hatte, keine ausreichenden Maßnahmen zur Verringerung der Luftbelastung enthält. Dem hat sich die 13. Kammer des Verwaltungsgerichts angeschlossen. (Az.: 13 K 5412/15 )
Konkret geht es darum, dass die Grenzwerte für Stickstoffdioxid in der Umweltzone Stuttgart seit mindestens 2010 überschritten werden. Auch in vielen anderen deutschen Städten ist das so. Schuld sind die vielen Dieselfahrzeuge. Da ihr Kraftstoff steuerlich begünstigt wird und Dieselmotoren lange Zeit als besonders »saubere« Technik galten, ist die Zahl der Fahrzeuge stark angestiegen - mit erheblichen Nachteilen für die Stadtbevölkerung.
Stickoxide, welche von Dieseln massenhaft ausgestoßen werden, beeinträchtigen die Funktion der Lunge und können zu Husten, Atembeschwerden oder Asthma führen. Eine hohe Belastung der Luft geht oft mit einem Anstieg der Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie einer erhöhten Sterblichkeit einher. »Eine Studie auf EU-Ebene zeigt, dass jährlich 68 000 vorzeitige Todesfälle auf Luftschadstoffe zurückzuführen sind«, erläutert Lukas Minnich vom Öko-Institut gegenüber dem »nd«.
Appelle an Dieselfahrer, ihr Auto stehen zu lassen, haben bislang genauso wenig gebracht wie punktuelle Fahrverbote für besonders alte Diesel. Um ein generelles Fahrverbot trotzdem auch künftig zu umgehen, schlugen Autoindustrie und Landesregierung ein Software-Update vor, das die Diesel etwas sauberer machen soll.
Das Gericht überzeugte dies nicht. Schon bei der sechsstündigen Verhandlung in der vergangenen Woche hatte der Vorsitzende Richter Wolfgang Kern klargemacht: »Die Wirksamkeit von Nachrüstungen ist natürlich nicht vergleichbar mit den Fahrverboten.«
Die Schadstoffproblematik lässt sich aus Sicht von Minnich nur auf lange Sicht lösen. Die Politik müsse im Dialog mit der Autoindustrie bleiben und Vorschriften setzen. »Vorgaben wie eine Quote für emissionsfreie Autos würden der Industrie den künftigen Entwicklungspfad und damit Zukunftschancen aufzeigen«, meint der Mobilitätsforscher. Zudem müssten der Fuß- und Fahrradverkehr sowie der Öffentliche Personennahverkehr mehr gefördert werden.
Nicht nur in Stuttgart müssen die Diesel-Besitzer künftig mit Fahrverboten rechnen. In allen Großstädten sind angesichts der Luftbelastung vergleichbare Schritte denkbar. Die DUH hat in 15 weiteren Städten Klage eingereicht. In Düsseldorf, Limburg, Reutlingen oder München sind die Urteile schon rechtskräftig.
Für Stuttgart gilt das noch nicht. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung wurden die Berufung beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg und die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Das Landsverkehrsministerium will zunächst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und spricht von einem »sehr komplexen Urteil«.
Wie ein laufendes Projekt des Öko-Instituts in Hamburg zeigt, sind die Nutzer indes längst dabei, sich von der schadstoffintensiven Technik zu verabschieden. Unternehmen mit einer Dieselflotte gehen demnach davon aus, dass sie mit ihren Fahrzeugen in fünf bis zehn Jahren nicht mehr in die Innenstädte fahren dürfen.
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