Gefängnis statt Familienurlaub
Türkei verbietet Wuppertaler wegen »Präsidentenbeleidigung« die Ausreise
Der Wuppertaler Kadim D. wollte mit seiner Familie in der Türkei Sommerurlaub machen. Die Großmutter besuchen, in der Provinz Silas. Gemeinsam mit seiner Frau und den beiden Kindern machte sich der 45-Jährige vergangene Woche per Auto auf den Weg. Bei der Einreise wurde der türkische Staatsbürger jedoch überraschend festgenommen. Der Grund: In einem Facebook-Posting soll er den türkischen Präsidenten Erdogan beleidigt haben. Laut Familienangehörigen wurde ihm als Beweis ein Screenshot präsentiert. D. erklärte gegenüber dem WDR, sich an keine solche Nachricht in sozialen Netzwerken erinnern zu können. Sein Handy sei ihm zudem geklaut worden.
D. kam für einen Tag in Untersuchungshaft. Danach wurde er in einem Schnellprozess mit einer Ausreisesperre belegt. Nun darf der Vater, der seit 40 Jahren in Wuppertal lebt, die Türkei nicht mehr verlassen. Regelmäßig muss er sich in seinem Geburtsort bei den Behörden melden. Bis zu einem Prozessbeginn könnte es bis zu zwei Jahren dauern, erklärte D. unter Tränen dem WDR. Einen Anwalt habe er noch nicht, jedoch bereits für einen bezahlen müssen. Seiner Frau und den Kindern wurde die Ausreise erlaubt.
Das Auswärtige Amt will im Falle von D. offenbar nicht tätig werden. Gegenüber »nd« erklärte die Behörde, man sei nur für deutsche Staatsbürger im Ausland zuständig. Dies ist insofern brisant, da in Deutschland rund 1,5 Millionen Türken ohne deutsche Staatsbürgerschaft leben. Gerade sie sind von den »willkürlichen Verhaftungen« in der Türkei potenziell bedroht, vor denen Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) jüngst warnte.
Zudem ist fraglich, wie der mangelnde Wille des Auswärtigen Amtes zur Hilfe für D. mit Gabriels Erklärung in der »BILD«-Zeitung zusammenpasst. In einer Ansprache an die »türkischen Mitbürger« hatte der Minister im Juli dort erklärt: »Gleichgültig wie schwierig die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind, bleibt klar: Sie, die türkischstämmigen Menschen in Deutschland, gehören zu uns - ob mit oder ohne deutschen Pass.« Das Auswärtige Amt hat diese Ansprache offenbar nicht zur Kenntnis genommen. Nachfragen des »nd« blieben von der Behörde unbeantwortet.
Die Verwaltung von Wuppertal will dagegen ihren langjährigen Bewohner nicht im Stich lassen. »Die Stadt versucht in dem Maße zu helfen, wie es ihr möglich ist«, sagte der Sprecher Thomas Eiting. Normalerweise würde bei einem halben Jahr Abwesenheit aus der Bundesrepublik die Aufenthaltsgenehmigung von D. erlöschen. Hier gebe es Spielraum zur Verlängerung, erklärte der Stadtsprecher. Zudem wolle man die Frau und die Kinder finanziell unterstützen, falls diese bereits eher zurückkommen sollten.
Politiker sorgen sich derweil um die Gefahr, die hierzulande von Denunziationen für Bürger ausgeht. »Die jüngste Verhaftung zeigt einmal mehr, dass in Deutschland ein regelrechtes Spitzelnetzwerk am Wüten ist«, sagte Sevim Dagdelen von der Partei DIE LINKE. Agenten und Denunzianten, die die »Gewaltpolitik« von Erdogan hierzulande fortsetzen, müssten rechtsstaatlich bekämpft werden, so die Politikerin zu »nd«. »Die Agenten müssen ausgewiesen und das Netzwerk zerschlagen werden.«
Die Bundesregierung solle zudem ihr Vorgehen gegen die Türkei verschärfen: »Die von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel groß angekündigte ›Neuausrichtung‹ der Türkei-Politik muss endlich konkrete Konsequenzen haben.« Notwendig wäre beispielsweise eine Reisewarnung - und nicht wie bisher nur Reisehinweise - für die Türkei, sagte Dagdelen. Das Risiko von Reisen dürfe nicht auf die einzelnen Urlauber abgewälzt werden.
In der Türkei wird der Strafbestand der »Präsidentenbeleidigung« mit bis zu vier Jahren Gefängnis verfolgt. Betroffen sind nicht nur Journalisten und Karrikaturisten, sondern Mitglieder aller Bevölkerungsgruppen, darunter auch Minderjährige. Die türkischen Behörden ermutigen dabei Landleute im Ausland, vermeintliche Beleidigungen zu melden. Im April 2016 rief etwa laut Medienberichten das türkische Konsulat in den Niederlanden türkische Vereine auf, Erdogan-Kritiker zu denunzieren.
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