Eine Vision, eine Identität, ein Grundprinzip

Extrem unterentwickelt oder Hightech - ASEAN vereint Staaten beider Entwicklungsstufen seit nunmehr 50 Jahren

  • Alfred Michaelis, Vientiane
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist ein Höhepunkt im dicht gedrängten Tagungskalender des Verbandes Südostasiatischer Nationen, kurz ASEAN: Ab dem heutigen Mittwoch treffen sich in Manila die Außenminister der zehn Mitgliedsstaaten, um neben der Erörterung regionaler wie internationaler Vorgänge auch den 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Bangkok-Deklaration, der ASEAN-Geburtsurkunde, zu würdigen. Das war am 8. August 1967. In dieser Zeit erlebte ASEAN eine Wandlung vom stramm antikommunistischen Block zur wohl vielfältigsten Regionalgemeinschaft der Welt.

Der eherne ASEAN-Grundsatz des allumfassenden Konsenses und der absoluten Nichteinmischung in Angelegenheiten der anderen Mitglieder hält nun schon ein halbes Jahrhundert ein Konstrukt am Leben, das heute aus so unterschiedlichen Staaten wie dem Sultanat Brunei und der Sozialistischen Republik Vietnam zusammengesetzt ist. Getreu dem Motto, dass ein dreibeiniger Hocker nicht kippeln kann, baut die ASEAN auf die drei Säulen politische und Sicherheitsgemeinschaft, ökonomische Gemeinschaft und sozial-kulturelle Gemeinschaft.

Die Feststimmung zum 50. Jah-restag der ASEAN ändert aber nichts daran, dass es trotz immer wieder betonter Gemeinsamkeiten genügend aktuelle Themen gibt, die die Tagungsteilnehmer umtreiben, seien es die Spannungen im Südchinesischen Meer, die neben Ansprüchen von gleich vier Mitgliedsländern (Malaysia, Indonesien, Philippinen und Vietnam) vor allem den Umgang mit dem mächtigen Nachbarn China betreffen, oder die außerordentlich gereizte Stimmung um Korea, das quasi gleich um die Ecke liegt. Hinzu kommen Sorgen um den internationalen Terrorismus, der bislang weitgehend mit den Umtrieben von Piraten in der Straße von Malakka in Verbindung gebracht wurde.

Doch die Probleme mit Unruhen islamischer Minderheiten auf den Philippinen und in Thailand ergeben im Verbund mit dem Vorgehen gegen die gleichfalls muslimischen Rohingya in Myanmar und der Rekrutierung islamischer Extremisten in Indonesien und Malaysia ein völlig neues Problemgeflecht. Dass sich bei alledem die politischen Orientierungen grundsätzlich verschieben können, macht die Sache zusätzlich spannend.

Vor allem der verbal wenig zurückhaltende philippinische Präsident Rodrigo Duterte, Vorsitzender der Gemeinschaft und damit Gastgeber der Jubiläumstreffen, wirbelte mit seiner brüsken Abkehr von den USA und der gleichzeitigen Freundschaftsofferte an China einigen Staub auf. Dabei haben die Chinesen, die ab Teil zwei der Konferenzstafette neben Japan und Südkorea im ASEAN-plus-Drei-Forum mit am Tisch sitzen werden, schon seit Jahren intensiv an einer Korrektur der regionalen Einflussstrukturen gearbeitet. So sind heute nicht mehr Thailand und die Philippinen die Mahner gegen ein zu starkes Gewicht der Volksrepublik, sondern Vietnam. Wie sich dies angesichts der Sprunghaftigkeit der US-Politik entwickelt, könnte sich im Außenministertreffen des Gipfels zeigen, an dem neben den genannten Staaten Australien, Indien, Neuseeland und eben die USA teilnehmen.

Aber nicht nur politisch wackelt der Baum. Seit Anfang des Jahres 2016 werkeln die zehn ASEAN-Mitglieder offiziell in einer Wirtschaftsgemeinschaft, doch ist es noch ein gutes Stück bis zum angestrebten einheitlichen Produktionsstandort ASE-AN. Der Handel untereinander macht nur ein Drittel des Handels mit Partnern außerhalb der Gemeinschaft aus, da sich die Exportstruktur der Länder zu sehr ähnelt. So sehen Thailand oder Indonesien den Aufschwung Vietnams zu einem der führenden Exportländer für Reis oder Meeresprodukte eher als Beeinträchtigung ihrer Marktstellung denn als Erfolg der Gemeinschaft.

Hinzu kommt das gewaltige Entwicklungsgefälle zwischen den Staaten und selbst innerhalb einzelner Mitgliedsländer, wobei ausgewählte Sektoren oder Standorte fest im digitalen Zeitalter verankert sind, anderswo aber noch um die Überwindung bitterster Armut gekämpft wird. Wirtschaftsexperten sehen hier auch die größten Herausforderungen, da der gegenwärtige Investitionsumfang vor allem in die Infrastruktur nicht ausreicht für einen breiten Entwicklungsschub. Hinzu kommt, dass mit Osttimor und Papua-Neuguinea zwei Länder auf die Mitgliedschaft hoffen, die das Gefälle noch deutlich vergrößern würden. Steht die ASEAN als Ganzes beim Bruttoinlandsprodukt weltweit etwa gleichauf mit Frankreich auf Platz sechs oder sieben, klafft die Schere beim Pro-Kopf-Indikator zwischen rund 50 000 Euro für Singapur und 1000 Euro für Kambodscha.

Ihren Erfolg baut die ASEAN denn auch eher auf das Beharrungsvermögen visionärer Zielstellungen. Das Motto des Staatenbundes »Eine Vision, eine Identität, eine Gemeinschaft« ist so auch im 50. Jahr vor allem Zukunftsmusik. Diskutiert man in Brüssel über ein Europa der zwei Geschwindigkeiten - für die ASEAN gilt das bei ihrem Pragmatismus längst. Dafür steht auch das Kürzel CLMV, das nichts weiter als die Klammer der später aufgenommenen Länder Kambodscha, Laos, Myanmar und Vietnam ist. Während die alten Mitglieder Brunei, Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Singapur und Thailand die Integration vorantreiben, gelten für die CLMV Übergangsperioden und Sonderregelungen.

So bleibt man sich bei der Rücksicht auf die Befindlichkeiten der weniger entwickelten Länder auch der der ASEAN-Kernidee treu: Konsensus.

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