Wenn das Kapital seine Zähne zeigt

Die neue deutsche Türkei-Politik ist eher symbolisch, hat aber ökonomische Folgen

  • Murat Çakır
  • Lesedauer: 4 Min.

In den über 150-jährigen deutsch-türkischen Beziehungen war die enge Kooperation zwischen den herrschenden Klassen beider Länder eine Konstante. Selbst der verlorene Weltkrieg, der deutsche Faschismus oder die zahlreichen Interventionen der türkischen Militärs konnten dieser engen Kooperation nichts anhaben. Für die Bundesregierungen war das Festhalten an der »deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft« und die Unterstützung aller bisherigen türkischen Regierungen stets ein strategischer Imperativ.

Doch die aktuellen Entwicklungen zeigen deutliche Risse in dieser »Brüderschaft«. Die Frage ist, ob die graduelle Korrektur des bisherigen Kurses der Bundesregierung eine Veränderung an der historischen Konstante zur Folge haben wird. Zweifelsohne sind die Beziehungen bis zum Äußersten gespannt und die Bundesregierung scheint - trotz der anstehenden Wahlen - in seltener Eintracht gewillt zu sein, außenpolitische Instrumente einzusetzen.

Wie geht es nun weiter? Werden Bundesregierung und EU den Druck auf das AKP-Regime für die Wiederherstellung des Parlamentarismus erhöhen? Und worum geht es der Bundesregierung? Um die türkische Demokratie?

Um diese Fragen zu beantworten, sollten zunächst die jüngsten Schritte der Bundesregierung angeschaut werden. Zwar deuten diese eher auf Symbolpolitik, haben aber durchaus materielle Auswirkungen, die das AKP-Regime in Bedrängnis bringen werden. So könnte der verschärfte Reisehinweis des Auswärtigen Amtes von Mitte Juli de facto als Tourismus-Boykott verstanden werden.

Der Hinweis wird aufgrund des damit verbundenen erhöhten Ausfallrisikos für deutsche Reiseunternehmen für einen Rückgang der Anzahl deutscher Türkei-Touristen und damit von Deviseneinnahmen sorgen. Da die Türkei diese Verluste nicht über russische oder arabische Touristen kompensieren kann, wird sie empfindliche Verluste hinnehmen müssen. Zahlen des türkischen Tourismusministeriums zufolge macht der Tourismus 12,5 Prozent des BIP aus, 8,1 Prozent der Arbeitsplätze hängen daran.

Aber viel empfindlicher wird das Regime von der Investitionszurückhaltung deutscher Konzerne getroffen werden. Laut Volker Treier, Außenhandelschef der DIHK, haben deutsche Unternehmen viele Direktinvestitionen vertagt. Die Bundesrepublik ist der zweitgrößte ausländische Investor in dem Land. Seit dem gescheiterten Putschversuch im letzten Jahr und der Verhängung des Ausnahmezustandes - mit seiner Enteignungspraxis sowie der entstandenen Rechtsunsicherheit - sitzen mehr als 6000 deutsche Unternehmen in der Türkei auf heißen Kohlen.

Eine mögliche Einschränkung der Kreditabsicherungen (Hermes-Bürgschaften) und Garantien für Investitionen würde ihre Zurückhaltung erhöhen. Wenn man bedenkt, dass die BRD-Unternehmen in den wichtigsten Wirtschaftssektoren der Türkei - Kfz, Maschinenbau, Textil, Chemie, Pharmaka - tätig sind und zehntausende Menschen beschäftigen, können die Auswirkungen eines Investitionsrückgangs erahnt werden.

Die wirtschaftlichen Beziehungen sind ohnehin belastet, das deutsche Exportvolumen in die Türkei liegt zwar bei rund 20 Milliarden Euro, zeigt aber deutliche Abwärtstrends. Die DIHK geht davon aus, dass das Exportvolumen 2017 um zehn Prozent schrumpfen wird. In einer solchen Situation haben Diskussionen über mögliche Einschränkungen der Zollunion - die ökonomische Achillesferse der Türkei - für BRD-Unternehmen abschreckende Wirkung. Nicht ein Stopp der EU-Beitrittsgespräche, sondern Einschränkungen der Zollunion würden verheerende Folgen für die türkische Wirtschaft haben.

Noch sind die Maßnahmen der Bundesregierung symbolischer Natur. Ob weitergehende Schritte folgen werden, ist zweifelhaft. Denn die Türkei hat mit ihrer geostrategisch einzigartigen Lage sowohl für das deutsche Kapital als auch für die Bundesregierung, die das Ziel der Weltmachtwerdung verfolgt, einen unschätzbaren Wert. Und die Reaktionen des AKP-Regimes zeigen, dass auch das bisherige Zähne zeigen längst seine Wirkung entfaltet hat. Bei der »Terrorlistung« deutscher Unternehmen ist die Türkei - anders als im Fall der Verhaftungen deutscher Staatsbürger - sofort zurückgerudert.

Erdoğans Regime ist hier einer Fehleinschätzung unterlegen. Es war sich sicher, dass die Bundesregierung angesichts der Verhaftung deutscher Staatsangehöriger eher beschwichtigend handeln würde, was ja auch zutraf. Geirrt hat sich das AKP-Regime aber darin, dass die Bundesregierung auf eine »Terrorliste« mit deutschen Unternehmen und damit auf ein Enteignungsrisiko von deutschem Kapital genauso reagieren würde.

Mit ihrer »Neuausrichtung« der Türkei-Politik hat die Bundesregierung der AKP ihre Grenzen aufgezeigt - in der Sprache, die sie versteht. Weitergehende Maßnahmen sind nicht zu erwarten. Die Türkei ist längst ein Unrechtsstaat und in Anbetracht der Gleichschaltung des Justizapparates kann konstatiert werden, dass ein demokratischer Machtwechsel kaum möglich ist. Solange Erdoğans Regierung lernt, die wirtschaftlichen und strategischen Interessen des Westens nicht anzutasten, wird sie sicher sein können, dass weder europäische noch andere strategische Partner mit einer Diktatur in der Türkei ein Problem haben. Die bisherige Praxis der engen europäischen Zusammenarbeit mit Despoten wird das Regime nur ermutigen, seinen Kurs beizubehalten.

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