Steuersenkung an der Kasse
Wirtschaftsinstitut bringt Reduzierung der Mehrwertsteuer ins Spiel
Dieser Bundestagswahlkampf ist ein Steuerwahlkampf. Genauer gesagt ein Einkommensteuerwahlkampf. Im Zentrum der Debatte steht die Frage, wer wie viel Netto vom Brutto behalten darf und wer wie viel abtreten soll. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schlägt nun vor, eine andere wichtige Steuer zu senken: die Mehrwertsteuer - und zwar im Regelfall von 19 auf 18 Prozent. Mittelfristig würde dies die Verbraucherinnen und Verbraucher um elf Milliarden Euro jährlich entlasten, schätzt DIW-Steuerexperte Stefan Bach. Würde man zusätzlich Nahrungsmittel und Tickets für den öffentlichen Nahverkehr künftig nur mit fünf statt wie bisher mit sieben Prozent besteuern, würden die Konsumenten 15 Milliarden Euro sparen.
»40 Prozent der Entlastung würden an die ärmere Hälfte der Bevölkerung gehen«, sagt Bach. Denn arme Menschen geben einen größeren Teil ihres Einkommens für den Konsum aus. Sie würden - zumindest in der Theorie - mehr von der Mehrwertsteuersenkung profitieren als der reichere Teil der Gesellschaft. Dieser hätte vor allem einen Vorteil von einer Senkung der Einkommensteuer, wie sie die meisten Parteien derzeit vorschlagen, von der wiederum ein Großteil der Bevölkerung wenig bis gar nichts hätte.
Das Problem am DIW-Vorschlag: Eine Senkung der Mehrwertsteuer kommt nicht direkt bei den Menschen an. Die Unternehmen müssten sie via Preissenkungen weitergeben, andernfalls würde die Maßnahme nur dem Kapital zugutekommen. »Der Wettbewerbsdruck wird die Unternehmen dazu zwingen, die Steuererleichterungen an die Verbraucherinnen und Verbraucher weiterzugeben«, ist zumindest DIW-Experte Bach überzeugt. Spätestens nach fünf Jahren seien die niedrigeren Mehrwertsteuersätze weitgehend in niedrigere Preise umgesetzt.
Eine Reihe von Ökonomen sieht das anders. LINKE-Finanzexperte Axel Troost ist »entschieden« gegen den Vorschlag des DIW. »Es ist eine Geldverschwendung, weil keiner weiß, ob die Preise tatsächlich gesenkt werden.« Wer etwas für die unteren und mittleren Einkommen tun wolle, solle das Geld gezielter einsetzen, etwa Kita- und Kindergartengebühren bundesweit abschaffen.
Gustav Horn vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hält dem DIW zumindest zugute, mit seinem Konzept »ein Defizit der gängigen Konzepte für Einkommensteuerreformen überwunden zu haben: Haushalte mit niedrigen Einkommen zahlen keine Einkommensteuer, sie geben aber einen Großteil ihres Geldes für Waren des täglichen Bedarfs aus.« Doch auch Horn meint, dass eine Mehrwertsteuersenkung nicht zum »Kern des Problems« vordringe. Nämlich, dass trotz guter Wirtschaftslage rund 20 Prozent der Erwerbstätigen im Niedriglohnsektor arbeiten. Wichtiger wäre es laut Horn, den Arbeitsmarkt neu zu regulieren, damit diese Menschen anständige Löhne und Gehälter verdienen können. »Das würde ihre Kaufkraft nachhaltig steigern.«
Sarah Godar vom Netzwerk Steuergerechtigkeit weist auf ein anderes Problem hin: Um die Senkung zumindest zum Teil gegenzufinanzieren, schlägt das DIW vor, reduzierte Sätze nur noch auf Lebensmittel und den öffentlichen Nahverkehr zu erheben. Hotelerzeugnisse oder Zeitungen etwa würden mit dem vollen Satz besteuert. Allerdings fiele dadurch vermutlich auch für Niedrig- und Normalverdiener der Entlastungseffekt geringer aus. »Denn auch Arme kaufen mal Produkte, die das DIW aus dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz ausklammern würde, zum Beispiel Hundefutter oder einen Blumenstrauß«, so Godar. Auf Einnahmen zu verzichten, hält die Ökonomin grundsätzlich für riskant: »Ärmere Menschen sind auf das Funktionieren öffentlicher sozialer Einrichtungen stärker angewiesen als Reiche.«
Ähnlich sehen es Troost und Horn. »Durch die Mindereinnahmen könnte Geld für dringend nötige öffentliche Investitionen fehlen, die ja auch das DIW zu Recht fordert«, warnt Ökonom Horn. »Nur weil der Bund derzeit große Überschüsse hat, bedeutet das nicht, dass alle Länder und insbesondere Kommunen derzeit im Geld schwimmen würden«, weist Troost darauf hin, dass die öffentlichen Haushalte angesichts des großen zusätzlichen Personal- und Investitionsbedarfs nach wie vor »ausgeblutet« seien.
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