Ärzte ohne Grenzen: Keine Info über etwaige Ermittlungen

Anschuldigungen gegen Hilfsorganisation in italienischen Medien seien Monate alt / »Jugend rettet« wartet auf Akteneinsicht / Identitäre verfolgen »Aquarius«

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Rom. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat Berichte zurückgewiesen, wonach auch sie wegen Rettungsaktionen auf dem Mittelmeer im Visier von italienischen Ermittlern sein soll. Man sei von keiner Staatsanwaltschaft über etwaige Untersuchungen informiert worden, teilte die Organisation am Samstag in Rom mit. Die Anschuldigungen, die jetzt in der Presse verbreitet würden, seien einige Monate alt.

Unter anderem die Zeitung »Corriere della Sera« hatte berichtet, dass auch Mitglieder von Ärzte ohne Grenzen wegen mutmaßlicher Begünstigung von illegaler Einwanderung ins Fadenkreuz der Staatsanwaltschaft gerückt seien. »Wir hoffen, dass so schnell wie möglich Zweifel aus dem Weg geschafft werden, um dieses Tröpfeln von Anschuldigungen zu beenden, das das Klima in einer immer finstereren Lage vergiftet«, erklärte die Organisation. Ärzte ohne Grenzen zählt zu den Organisationen, die den von der italienischen Regierung aufgesetzten Verhaltenskodex für private Seenotretter nicht unterschrieben haben.

Die deutsche Nichtregierungsorganisation (NGO) »Jugend Rettet«, die den Kodex ebenfalls nicht unterschrieben hat, wird bereits seit Mitte der Woche kontrolliert und kann ihre Rettungseinsätze mit ihrem Schiff nicht mehr fahren. Die »Iuventa« wurde beschlagnahmt und ist mittlerweile nach Trapani auf Sizilien geschleppt worden.

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»In dem Durchsuchungsbeschluss wird uns unterstellt, dass wir auf See mit libyschen Schleppern zusammenarbeiten. Anschuldigungen dieser Art sind nicht neu und haben sich auch in der Vergangenheit immer wieder als haltlos erwiesen«, erklärte Jugend Rettet am Samstag. »Haltlose Vorwürfe« konstruierten in der Öffentlichkeit ein Bild, das zu einer Diskreditierung von privaten Seenotrettenden führe.

Unterdessen mehren sich Solidaritätskundgebungen für die Seenotretter im Internet. Während Medien wie die linke italienische Zeitung »Il Manifesto« via Twitter erklären, sie stehen zum Engagement von Ärzte ohne Grenzen, ruft die Initiative »Seenotrettung ist kein Verbrechen« mit einer Online-Petition zur Unterstützung freiwilliger Seenotretter auf. »Das Recht auf Leben und Sicherheit ist ein fundamentales Recht – auch auf dem Meer. Die NGOs vor Ort helfen Menschen in Not, wo Staaten es nicht tun. Dass ihre Arbeit von ebendiesen im nächsten Zuge kriminalisiert werden, ist absurd«, heißt es auf der Internetseite.

Die Initiatoren fordern, dass die europäische Staatengemeinschaft die Seenotrettung übernimmt. Solange Nichtregierungsorganisationen diese Arbeit übernehmen, dürften sie daran jedoch nicht gehindert werden. Daher müsse die »Iuventa« umgehend an den Verein »Jugend rettet« zurückgegeben werden. Des Weiteren brauche es »sichere und legale Fluchtwege nach Europa«.

Jugend rettet will Hilfseinsätze rasch wieder aufnehmen

Die Hilfsorganisation will schnellstmöglich wieder Menschen im Mittelmeer retten. »Unsere Priorität ist, unser Schiff freizukriegen und gegen die Beschlagnahme vorzugehen«, sagte der Sprecher der Organisation, Titus Molkenbur, bereits am Freitag der Deutschen Presse-Agentur.

Die Staatsanwaltschaft in Trapani ermittelt wegen des Vorwurfs der Begünstigung illegaler Migration gegen die junge Organisation mit Sitz in Berlin, die seit 2016 Einsätze im Mittelmeer fährt. Bisherigen Ermittlungen zufolge sollen Teile der Besatzung mehrmals Migranten an Bord genommen haben, die nicht in Seenot und noch in Begleitung von Schleppern gewesen sein sollen. Die Staatsanwaltschaft in Trapani schließt derzeit aber aus, dass Jugend Rettet Teil einer kriminellen Vereinigung sei, einen koordinierten Plan mit Schleppern habe oder mit diesen zusammengearbeitet zu haben, um Profit daraus zu schlagen.

Die Organisation hat inzwischen italienische und deutsche Strafrechtsanwälte beauftragt. »Die Akten in diesem komplexen Verfahren liegen uns noch nicht vor. Deshalb können wir zu den konkreten Vorwürfen noch nichts sagen, bis wir komplette Akteneinsicht haben«, sagte Molkenbur.

»Grundsätzlich gilt zu sagen: Alle unsere Rettungsoperationen sind zu jedem Zeitpunkt mit der Seenotleitung in Rom abgestimmt worden«, versicherte Julian Pahlke, ebenfalls Sprecher der Organisation, der Tagesschau. Und diese Weisung sei für die Organisation auch bindend. Er berichtete von Morddrohungen gegen Mitglieder der NGO.

In italienischen Medien standen die Vorwürfe gegen die deutschen Seenotretter auch am Freitag wieder im Fokus. »Corriere della Sera« zitierte einen Polizisten, der 40 Tage als verdeckter Ermittler an Bord des Rettungsschiffs der Hilfsorganisation Save the Children Einsätze von Jugend Rettet dokumentierte. Er machte Fotos, die nach Angaben der Polizei Treffen mit Schleppern im Mittelmeer zeigen.

Bei den Männern handele es sich aber nicht um Schlepper, sondern um sogenannte Engine Fisher, die die Motoren der Schlauch- oder Holzboote klauen, sagte Pahlke der »Bild«-Zeitung. Dass solche Zwischenfälle öfter und auch während der Rettungen passieren, berichten auch andere Hilfsorganisationen. »Unsere Crew kann die Gefahr schwer einschätzen, die von diesen Menschen ausgeht. Die kommen, während wir ein Boot evakuieren und nehmen den Motor ab«, sagte Pahlke.

Identitären-Schiff C-Star verfolgt Helfer auf der »Aquarius«

Unterdessen ist auch das Schiff der völkisch nationalistischen Identitären vor der Küste Libyens eingetroffen. Die rechtsradikalen Aktivisten verfolgten die Manöver der »Aquarius«, eines Schiffes der Hilfsorganisation »SOS Méditerranée« und Ärzte ohne Grenzen.

Die »C-Star« der Identitären traf am Samstag in einem Gebiet rund 20 Seemeilen vor Libyen ein, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP an Bord der »Aquarius« berichtete. 30 bis 45 Minuten fuhr das Schiff demnach mit einem Abstand von wenigen hundert Metern hinter der »Aquarius« her, später folgte es dem Rettungsschiff aus größerer Distanz.

Die Besatzung der »Aquarius« wollte sich nicht dazu äußern, ob sie die Nähe der »C-Star« als Bedrohung empfindet. Während die »C-Star« in der Nähe war, fuhr das Rettungsschiff allerdings mit doppelter Geschwindigkeit.

Das von der Gruppe »Defend Europe« gecharterte Schiff hatte Anfang Juli den Hafen von Dschibuti verlassen und über den Suez-Kanal und Zypern Kurs auf die libysche Küste genommen. Hinter der Aktion stehen deutsche, französische und italienische Mitglieder der »Identitären Bewegung«, die in Deutschland wegen ihrer völkischen Ideologie vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Agenturen/nd

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