Raila Odingas letzter Versuch

Kenias ewiger Oppositionsführer fordert Amtsinhaber Uhuru Kenyatta bei der Präsidentschaftswahl heraus

  • Anja Bengelstorff, Nairobi
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn an diesem Dienstagmorgen um sechs Uhr in Kenia die Wahllokale öffnen, werden erneut Bilder von Wählern um die Welt gehen, die in endlosen Schlangen stundenlang auf ihre Chance warten, Demokratie in die Tat umzusetzen. Wie schon bei der letzten Wahl 2013 stehen sich Uhuru Kenyatta, amtierender Präsident, und der ewige Oppositionsführer Raila Odinga, der wahrscheinlich zum letzten Mal antritt, im Rennen um die Präsidentschaft der ostafrikanischen Wirtschaftsmacht gegenüber.

Erneut wird das Ergebnis knapp ausfallen, weshalb in Kenia seit Monaten die Sorge umgeht, dass der unterlegene Kandidat den Ausgang der Wahl nicht anerkennen und seine Anhängerschaft zu gewalttätigen Ausschreitungen führen könnte. Dass die Wahlkommission massive Glaubwürdigkeitsprobleme hat, hilft der Situation wenig. Beide Kandidaten versprechen ihrer Wählerschaft den Sieg; keiner bereitet sie auf eine mögliche Niederlage vor. Nach dem Wahlbetrug von 2007 war Kenia zwei Monate lang von Gewalt paralysiert, mehr als 1000 Menschen starben und Hunderttausende verloren ihr Heim.

Dieses Trauma hat das Land nicht vergessen. Und doch ist es nicht dasselbe wie vor zehn Jahren: Zum einen sorgt die neue Verfassung von 2010 dafür, dass die Macht der Zen-tralregierung beschnitten und Teile ihrer Verantwortlichkeiten auf 47 neu geschaffene föderale Bezirke übertragen wurden. Entscheidungen über die Geschicke ihrer Region sollen den Bürgern somit näher gebracht und sie selbst direkter beteiligt werden. Die 19,6 Millionen registrierten Wähler (36 Prozent mehr als 2013) stimmen daher heute nicht nur über den Präsidenten, sondern über fünf weitere politische Positionen ab: Sie wählen ihre Vertreter im nationalen sowie im regionalen Parlament, im Senat, eine Frauenbeauftragte sowie den Gouverneur, der den Bezirk regiert. 14 523 Kandidaten bewerben sich um diese Posten in einer der mit fast 22 Euro pro Wähler teuersten Wahlen Afrikas - die Abstimmung in Ruanda am 4. August kostete weniger als 85 Cent pro Wähler.

Die Dezentralisierung der Regierungsführung sollte nicht zuletzt dem Alles-oder-nichts-Wettstreit um die Präsidentschaft, wie er früher stattfand, etwas Wind aus den Segeln nehmen: Gehörte der Präsident einer bestimmten ethnischen Gruppe an, versprach sich diese Vorteile unter seiner Präsidentschaft in Form von Jobs und Geschäftsmöglichkeiten. Doch nur Eliten profitierten, die Masse ging leer aus. Nun verlagert sich der Fokus auch auf die Bezirke, wo lokale Politik ihren Mythos verliert: Die Wähler können ihren Volksvertretern viel genauer auf die Finger schauen, wie sie mit Steuergeldern und Autorität umgehen. Kritiker beklagen, dass mit der Macht auch die Korruption dezentralisiert worden ist. Die lokalen Positionen werden heiß umkämpft sein und tragen daher ein gewisses Konfliktpotenzial in sich.

Dass Politik den Kenianern durch die Dezentralisierung näher gerückt ist, hat eine auffallende Zahl junger Kandidatinnen und Kandidaten dazu ermuntert, auch ihren Hut in den Ring zu werfen. Frustriert von den sich selbst bereichernden alten Männern an der Staatsspitze, die die Jugend und damit die Mehrheit der rund 44 Millionen Staatsbürger ignorieren, ziehen jugendliche Bewerber durch die Wahlkreise, meist ohne Wahlkampfkasse, nicht selten auf Fahrrädern oder zu Fuß. Sie kommen mit Ideen und Idealismus und stellen sich ihren Wählern in Diskussionen über Sachthemen. Ob sie Chancen haben, sich zu beweisen, bleibt abzuwarten. Doch ihre Kandidaturen deuten an, wie Kenias Wahlen künftig aussehen könnten.

Zunächst jedoch werden die Schlagzeilen nach den Wahlen vom 8. August weiter davon dominiert sein, ob Kenyatta, 55, oder Odinga, 72, die Präsidentschaft gewonnen hat. Eine Bilanz von Kenyattas Amtszeit ist ernüchternd: Noch nie war Kenia so verschuldet wie heute. Erst Ende Juli meldete das Finanzministerium, dass Kenia mehr für die Tilgung seiner Schulden als für die Entwicklung des Landes ausgibt. Zwischen Ende 2012 (Kenyatta kam im April 2013 ins Amt) und September 2016 habe sich, so der Ökonom David Ndii, die Staatsverschuldung auf 29 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Kenyattas Vorzeigeobjekt, eine von China gebaute Bahnverbindung zwischen der Hafenstadt Mombasa und der Hauptstadt Nairobi, die Ende Mai rechtzeitig vor der Wahl fertig wurde, hat 3,2 Milliarden Euro gekostet und ist damit eine der teuersten Bahnstrecken der Welt, obwohl es günstigere Optionen gab.

Gleichzeitig steigen die Lebenshaltungskosten, gerade für Grundnahrungsmittel, stetig an; der kenianische Schilling ist so schwach wie seit Jahren nicht mehr. Zwar sind heute mehr Haushalte ans Stromnetz angeschlossen; auch hat Kenyatta eingeführt, dass Schwangere in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos entbinden können, doch streikt seit Monaten das Pflegepersonal um die Erhöhung seiner Löhne und um bessere Arbeitsbedingungen. Vor Kurzem hatten, aus denselben Gründen, Ärzte und Dozenten an den Universitäten monatelang ihre Arbeit niedergelegt.

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