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G20: Scharfe Kritik an Untersuchungshaft von Fabio V.

Linke Abgeordnete erheben schwere Vorwürfe / Maria R. aus Untersuchungshaft entlassen / Noch fünf italienische Demonstranten im Gefängnis

  • Elsa Koester (Berlin) und Giuseppe Caccia (Venedig)
  • Lesedauer: 6 Min.
Kundgebung im italienischen Feltre für die Freilassung der G20-Aktivisten
Kundgebung im italienischen Feltre für die Freilassung der G20-Aktivisten

Im italienischen Feltre nahe Venedig ist man Demonstrationen eigentlich nicht gewöhnt. Doch am vergangenen Donnerstagabend versammelten sich rund 400 Demonstranten in der 20 000 Einwohner zählenden Kleinstadt für eine ganz bestimmte Stadtbewohnerin: Die 22-jährige Studentin Maria R. war Anfang Juli zu den G20-Protesten nach Hamburg gefahren, am frühen Morgen des 7. Juli festgenommen und dann mehrere Wochen in Untersuchungshaft festgehalten worden. Eigentlich wollten die Demonstranten ihre Freiheit fordern – doch gleich zu Beginn der Kundgebung verbreitete sich die gute Nachricht schnell: Maria R. war noch am Donnerstagnachmittag freigelassen worden.

Zuvor hatte das Oberlandesgericht die Haft aufgehoben – ohne Kaution und ohne die Auflage, Deutschland nicht verlassen zu dürfen. Für ihren Anwalt Gerrit Onken kam dieses Urteil überraschend: »Aufgrund des sehr negativen Beschlusses des Oberlandesgerichts im Fall von Fabio V. hatten wir damit nicht gerechnet.«

Maria R. gehört wie der noch immer in Untersuchungshaft sitzende Fabio V. zu den Aktivisten, die während der G20-Proteste am frühen Morgen des 7. Juli im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld festgenommen worden waren. Am Rondenbarg war eine Gruppe von rund 200 Demonstranten gegen 6.30 Uhr auf Polizisten getroffen. Einem Polizeibeamten zufolge, der in dem nun kassierten ersten Beschluss des Landesgerichts zitiert wird, sollen die Aktivisten massiv mit Flaschen, Böllern und Bengalos geworfen haben, die Beamte und Fahrzeuge getroffen hätten. Rund 60 Aktivisten wurden in dieser Situation festgenommen.

Ein Polizeivideo zu der betreffenden Situation, das die »Süddeutsche Zeitung« und »Panorama« veröffentlichten, stellt diese Darstellung jedoch in Frage. Darauf ist lediglich zu erkennen, wie aus der Menge heraus drei Leuchtfackeln geworfen wurden, die jedoch keine Beamten trafen. Die innenpolitische Sprecherin der Hamburger Linksfraktion, Christiane Schneider, fordert, die Diskrepanz zwischen dem Video und dem Zeugenbericht aus der Polizei in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufklären zu lassen.

»Psychische Beihilfe« für Steinewerfer

Die Staatsanwaltschaft wirft Maria R. nun vor, sich in dieser Situation an einem besonders schweren Fall von Landfriedensbruch beteiligt zu haben. Laut ihrem Anwalt gibt es im gesamten Ermittlungsmaterial jedoch »keine Hinweise dafür, dass Maria R. sich individuell am Landfriedensbruch oder an einem tätlichen Angriff auf Polizeibeamte beteiligt hat«.

Tatsächlich liest sich diese Problematik auch aus der schriftlichen Begründung für den nun hinfälligen Beschluss des Landgerichts zur Aufrechterhaltung der Haft heraus, die »nd« vorliegt. Die Richter werfen der Aktivistin darin keineswegs vor, selber Gegenstände geworfen zu haben. Ihre Anwesenheit, ihr die vermeintliche Täter unterstützender Verbleib in der Gruppe und ihre Bekleidung dienen als Indiz für ihre Beteiligung am Landfriedensbruch. Maria R. habe das Vorgehen der Täter als Teilnehmerin der Menge unterstützt und eine mögliche Verletzung von Polizisten billigend in Kauf genommen. Die Richter sprechen hier von einer »psychischen Beihilfe«.

Diese Argumentation bezeichnet der Anwalt Onken als »spitzfindige Kreation«, die für seine Mandantin »sehr diffamierend« sei. Die Begründung für die sofortige Freilassung liegt noch nicht vor, doch Onken ordnet sie als »maximale Entscheidung« ein, da sie mit keinerlei Auflagen verbunden war.

Die Erziehungsmängel des Fabio V.

Im Falle des noch immer in Haft sitzenden Aktivisten Fabio V. hatten die Richter des Oberlandesgerichts ganz anders geurteilt. Wie Maria R. wurde er in der Situation am Rondenbarg festgenommen. Die Begründung der Richter für seinen Verbleib in Untersuchungshaft wurde medial bereits stark kritisiert. Der leitende Richter des 1. Strafsenats, Marc Tully, schreibt darin von einer Tatausführung, die auf eine »erkennbar rücksichtslose und auf eine tief sitzenden Gewaltbereitschaft« schließen lasse, wie die »Welt« aus dem Beschluss zitiert. Seine mutmaßliche Teilnahme an den Ausschreitungen zeuge von »schädlichen Neigungen«, der Richter stellte zudem »erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel fest, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen«, so das Blatt weiter. Auch im Fall Fabio V.s ist also keine Rede davon, dass ihm Steinwürfe nachgewiesen werden können.

Der justizpolitische Sprecher der Hamburger Linksfraktion, Martin Dolzer, liest in dieser Urteilsbegründung Anweisungen des Bundesinnenministers und des Hamburger Bürgermeisters heraus: »Es ist bedenklich, wenn der Eindruck entsteht, dass die Justiz Forderungen von de Maizière und Scholz nach harten Strafen nachkommt, ohne die Unschuldsvermutung und das Recht auf Freiheit angemessen abzuwiegen.« Dolzer besuchte die zwei italienischen Aktivisten regelmäßig im Gefängnis und berichtet dem »nd« von ihrer großen Frustration angesichts der Tatsache, dass ihnen keine konkrete Tat vorgeworfen werden kann, sie aber weiter festgehalten würden.

Für den Linkspolitiker ist dies insbesondere im Falle Fabio V.s nicht nachvollziehbar. »Es gibt keinen Grund, ihn in Untersuchungshaft zu halten. Italien liefert aus, wenn sich jemand dem Prozess nicht stellt.« Fabio V. hat ein regelmäßiges Einkommen als Fabrikarbeiter und einen festen Wohnsitz in Italien – von einer Fluchtgefahr sei nicht auszugehen.

Die Anwältin des Aktivisten legte deshalb vergangene Woche gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein. Es kann jedoch bis zu 14 Tagen dauern, bis sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Fall beschäftigt. In dieser Zeit wartet Fabio V. weiter in Gefängnis.

Ausländische Demonstranten als Sündenbock

So wurde am Donnerstag in Feltren doch noch demonstriert – für die Freilassung von Fabio V. Maria R.s Mutter, Giuditta Bettini, machte gleich zu Beginn deutlich: »Die Freilassung von Maria kam unerwartet und und nun feiern wir natürlich. Aber jetzt ist es wichtig, dass auch Fabio und die anderen Leute, die noch im Gefängnis sitzen, so schnell wie möglich freigelassen werden.«

Nach der Entlassung von Maria R. sitzen noch 31 weitere G20-Demonstranten in Haft, darunter fünf Italiener. In Feltre forderten auch zwei italienische Abgeordnete ihre Freilassung. »Maria und Fabio sind glänzende Beispiele der besten Jugend in Europa: Tausende gingen nach Hamburg, um gegen die desaströse Politik der G20 ihre Stimme für soziale Gleichheit, Bewegungsfreiheit und eine radikale ökologische Wende zu erheben«, sagte Giovanni Pagli von der italienischen Linken. »Wir müssten diesen jungen Demonstranten danken. Stattdessen sehen wir eine systematische Verletzung von Grundrechten.«

Auch das Vorgehen der deutschen Polizei gegen ausländische Demonstranten wurde von den Abgeordneten scharf kritisiert. Peppe De Cristofaro, Abgeordneter der Italienischen Linken und stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, verfolgte die Festnahme der insgesamt sechs italienischen Aktivisten von Beginn an. »Was unmittelbar deutlich wurde: Die deutsche Polizei suchte in den ausländischen Demonstranten einen einfachen Sündenbock.« Die italienische Regierung müsse sich hierzu schärfer positionieren.

Auch gegenüber »nd« hatten während der Proteste in Hamburg italienische Aktivisten der Polizei vorgeworfen, sie lediglich aufgrund ihrer italienischen Sprache festgehalten zu haben. Unter den Festgenommenen hatte sich auch die Abgeordnete des Europäischen Parlaments Eleonore Forenza befunden. Die Polizei hatte ihre Festnahme damit begründet, dass sie Wechselklamotten bei sich getragen habe.

Nach den G20-Protesten ermittelt die Polizei insgesamt in 160 Fällen, davon in 53 Fällen gegen Unbekannt. Der erste Prozess gegen einen 24-Jährigen wird am 29. August in Hamburg beginnen. Auch Maria R. erwartet weiterhin ein Prozess wegen besonders schweren Landfriedensbruchs und des tätlichen Angriffs auf Polizeibeamte.

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