Polen will Europas letzten Urwald abholzen
Robin Wood demonstrierte vor dem Polnischen Kulturinstitut in Berlin für den Erhalt des Bialowieza-Waldes
Es ist ein trüber Freitagmorgen. Rund um den Hackeschen Markt in Berlin ist es noch ruhig. Am nahe gelegenen Polnischen Kulturinstitut wird es plötzlich etwas hektischer. Aktivisten der Umweltschutzorganisation Robin Wood legen abgesägte Baumstümpfe vor den Eingang, verstreuen Sägespäne, umzäunen das ganze mit rot-weißen Absperrband und entrollen ein Transparent. Mittendrin ist Kai: »Ich bin eigentlich nur Berliner, aber seit zwei Monaten bin ich auch Pole und Europäer, der sich für Urwälder einsetzt«, erzählt der 32-jährige Aktivist. Vor einigen Tagen sei er wiedergekommen aus Polen. Da lebte er zwei Monate in einem Protestcamp im Bialowieza-Urwald, der in Polen und Belarus liegt.
Die Sache, für die Kai und die Aktivisten von Robin Wood kämpfen, beschäftigt nicht nur einige wenige Umweltaktivisten in Polen und Deutschland, sondern mittlerweile auch die EU-Kommission und den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Es geht um die Abholzung des letzten Flachlandurwaldes Europa. Diese wird massiv betrieben, nachdem die nationalkonservative PiS-Regierung im März 2016 eine Verdreifachung des Holzeinschlages in dem Waldstück an der Grenze zu Weißrussland erlaubte, das UNESCO-Weltnaturerbe ist. Allein seit Mai seien in dem 8000 bis 10 000 Jahre alten Urwald 1500 Bäume gefällt worden, berichten Umweltschützer.
»Diese Maßnahmen, die auch die Entfernung jahrhundertealter Bäume umfassen, stellen eine erhebliche Bedrohung für die Integrität dieses Natura-2000-Gebiets dar«, schrieb nun auch die EU-Kommission Mitte Juli und begründete damit ihre Klage vor dem EuGH gegen Polen. Das Natura-2000-Gebiet biete Schutz für Arten und Lebensräume, die auf Altholzbestände, einschließlich Totholz, angewiesen seien. »Für einige dieser Arten ist der Bialowieza-Wald das wichtigste oder das letzte verbleibende Gebiet in Polen«, erläutert die Kommission. So ist der Urwald das mit Abstand wichtigste Rückzugsgebiet für Wisente.
Ende Juli entschieden dann die europäischen Richter im Sinne Brüssels. Sie ordneten einen einstweiligen Abholzungstopp an, was ein ungewöhnlich hartes Eingreifen des EuGH in die Tagespolitik eines EU-Landes ist. Doch Warschau lässt dies kalt. Polen werde die »Schutzmaßnahmen« fortführen, sagte Umweltminister Jan Szyszko nach der Entscheidung in Luxemburg.
Als Grund für die Maßnahmen führt Polen einen angeblichen Befall des Urwaldes mit Borkenkäfern an. »Sowohl die wissenschaftliche Gemeinde als auch Umweltverbände, sind sich einig, dass das nur vorgeschoben ist«, sagt Robin Wood-Waldreferent Jannis Pfendter. Der Borkenkäfer sei nur schädlich für Nutzforste, aber nicht für naturbelassene Waldbestände. Neben wirtschaftlichen Aspekten sieht der Umweltaktivist den eigentlichen Grund für die Abholzung in einer umweltfeindlichen Ideologie, die mit dem Rechtsruck in Polen im Aufwind sei.
»Das war natürlich nur ein kleines Zeichen«, zeigte sich Pfendter im Nachhinein zufrieden mit der Aktion in Berlin. Das große Zeichen gegen die Abholzung soll es am Sonntag geben. Da ruft Robin Wood zur einer internationalen Demonstration in Bialowieza auf. Bereits Ende Juni demonstrierten Tausende Menschen in Warschau für den Erhalt des Waldes, in dem über 12 000 Tierarten leben.
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