Neonazis riefen vor Charlottesville zur Bewaffnung auf

In der Mobilisierung zum Aufmarsch wurde die Provokation gesucht / Mutmaßlicher Täter gehört zum rechtsradikalem Spektrum

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 6 Min.

Für Jason Kessler sind die Rechtsradikalen und Rassisten von Charlottesville keine Täter, sondern die eigentlichen Opfer: »Die Polizei hat nichts gemacht und sich geweigert, die Gegendemonstranten zu separieren, und jetzt gibt es Tote«, erklärt der Anmelder des rechtsradikalen Aufmarschs »Vereinigt die Rechte« in einem Handyvideo, das er am Samstagsabend über sein Twitterprofil verbreitete.

Kessler erweckt fast den Eindruck, als sei die Tote Opfer eines Übergriffs von Gegendemonstranten geworden, obwohl die versammelte radikale US-Rechte doch nur ihr Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nehmen wollte. Doch die 32-jährige Heather Heyer stand nicht auf Seiten der Neonazis, sie protestierte am Samstag gegen die Rassisten, als ein Auto in den antifaschistischen Protest raste. Am Steuer saß US-Medien zufolge ein junger Mann, der zuvor selbst am rechten Aufmarsch im US-Bundesstaat Virginia teilgenommen hatte.

Für den Organisator des Aufmarschs scheint dies alles nicht wichtig zu sein. In seinem Handyvideo spricht er deshalb auch nur von dieser »Sache mit dem Auto«, die »wirklich dumm« gewesen und mit der er natürlich nicht einverstanden gewesen sei. Mitleid für die Tote klingt anders. Stattdessen versucht Kessler, die Ursachen für die Gewalt und den Terror von Charlottesville in eine andere Richtung zu lenken. Wenn das Recht auf freie Meinungsäußerung beschnitten werde, dann würde die politische Gewalt eben zunehmen.

In der Strategie und Welt Kesslers, der sich laut »New York Times« selbst als »Anwalt der Weißen« bezeichnet und zur rechtsradikalen US-Bewegung »Alternate Right Movement« (Alt-Right) gehört, ist dies die einzige Möglichkeit, eine Rechtfertigung für die Ereignisse des Wochenendes zu finden. Der Aufmarsch von Charlottesville war von zahlreichen rechtsradikalen Gruppen seit Monaten akribisch vorbereitet und in den sozialen Netzwerken beworben worden.

Als Anlass für den Aufmarsch diente ein Stadtratsbeschluss, die Statue des Konföderiertengenerals Robert E. Lee aus dem amerikanischen Bürgerkrieg zu entfernen. Doch schnell wird klar: Es geht den versammelten US-Rechten nicht nur um die Statue eines Mannes, der vor mehr als 150 Jahren für den Erhalt der Sklaverei kämpfte. Es ist genauso ein willkommener Anlass, um die scheinbare Einigkeit der radikalen US-Rechten zu demonstrieren. Da wundert es nicht, dass die Bandbreite der zum Marsch aufrufenden Gruppierungen groß war und die Mobilisierung landesweit erfolgte. Nach Angaben der Anti-Rassismus-Initiative Southern Poverty Law Center (SPLC) nahmen an dem Aufmarsch mehrere nationalistische, völkische und rassistische Organisationen teil, darunter die League of the South, Daily Stormer, Identity Evropa, The Right Stuff und Vanguard America.

Rechter Moderator rief zur Bewaffnung auf

Dass die Situation in Charlottesville eskalierte, könnte auch mit einem Aufruf zu tun gehabt haben, der die Rechtsradikalen dazu aufforderte, nicht unbewaffnet zum Protest zu erscheinen. Dies zumindest legen Recherchen der linken Website itsgoingdown.org nahe, die sich näher mit der Mobilisierung der Neonazis beschäftigte. Dabei stießen die Autoren auf einen Beitrag des rassistischen Podcast-Netzwerkes The Right Stuff. In einer Aufnahme soll der Neonazi Mike Peinovich zu hören sein, wie er dazu aufruft, dass die Teilnehmer des rechtsradikalen Aufmarsches nicht unbewaffnet nach Charlottesville fahren sollten. »Bring mit, was immer du brauchst, was du meinst, für deine Selbstverteidigung zu benötigen«, wird Peinovich zitiert. Und weiter: »Wir wollen nicht, dass [die Gegen-Demonstranten] den Eindruck haben, dass wir dort unbewaffnet auftauchen werden, ... das ist nicht der Fall.«

Und so kam es dann auch: Tatsächlich bestätigten am Samstag Augenzeugen und Fotoaufnahmen, dass Mitglieder rechtsradikaler Bürgerwehren nicht nur mit Stöcken und Pfefferspray in Charlottesville aufmarschierten, sondern auch zahlreiche Schusswaffen bei sich trugen.

Auch der frühere Ku-Klux-Klan-Führer David Duke wurde am Samstag unter den Teilnehmern gesichtet. Dass der Aufmarsch mehr als der Protest gegen einen Stadtratsbeschluss sein sollte, brachte er auf den Punkt: Viel mehr sei dies »die Erfüllung der Versprechen von Donald Trump«. Schließlich habe der US-Präsident versprochen, er werde das Land wieder »zurückerobern« – »und genau das müssen wir tun«.

Duke, der Trump bereits während des Präsidentschaftswahlkampfs unterstützte, sprach von einem »Wendepunkt für die Menschen in diesem Land«. Tatsächlich war es unübersehbar, dass die versammelte radikale US-Rechte in Charlottesville meinte, im Sinne des amtierenden US-Präsidenten zu handeln und dessen Mission zu erfüllen. Etliche Teilnehmer führten Trumps Wahlkampf-Slogan »Make America Great Again« auf Shirts und Mützen mit sich, die Rechtsradikalen skandierten zudem »Heil Trump«. Einige Demonstranten skandierten CNN zufolge auch Nazi-Parolen wie »Blut und Boden«.

Tatsächlich ist Trumps Wahlslogan einer der Gründe, warum sich die radikale Rechte landesweit im Aufwind befindet. Der Präsident arbeitet sich mit dem seinem Versprechen an den USA der 50er und frühen 60er Jahre ab. In den eineinhalb Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten die Vereinigten Staaten von Amerika einen massiven wirtschaftlichen Aufschwung, der dem weißen Teil der Arbeiterklasse einen deutlichen Wohlstandszuwachs brachte. Insbesondere an der schwarzen Bevölkerung, die damals erst noch für ihre vollen Bürgerrechte und gegen Rassismus kämpfte, ging der Aufschwung allerdings vorbei. Um die Rückkehr in dieses Amerika geht es der Alt-Right-Bewegung. Dass Trump nach der rechten Terrorattacke von Charlottesville nicht klar den Rassismus der Rechtsradikalen benannte und anprangerte, sondern lediglich die Gewalt von allen Seiten verurteilte, dürfte die Bewegung als indirekte Zustimmung für ihr Vorgehen interpretieren.

Mutmaßliche Täter teilte Hilter-Bilder und Pepe dem Frosch

Aus den Reihen der radikalen Rechten stammt auch der mutmaßliche Attenttäter, den die US-Medien am Sonntag identifizierten. Es soll sich um einen 20-jährigen James Alex F. aus dem US-Bundesstaat Ohio handeln. Laut der Regionalzeitung »Toedo Blade« soll der Tatverdächtige gegenüber seiner Mutter zuvor angekündigt haben, an dem Aufmarsch in Charlottesville teilnehmen zu wollen. Tatsächlich finden sich in den sozialen Netzwerken Fotos, die James Alex F. an der Seite der rechtsradikalen Organisation »Vanguard America« während des Aufmarsches am Samstag zeigen. Die Gruppe beeilte sich zwar zu erklären, bei dem Tatverdächtigen handelte es sich um kein Mitglied, doch ein Twitter-Foto zeigt nicht gerade eine Distanz auf. James Alex F. ist darauf neben mehreren mutmaßlichen »Vanguard America«-Mitgliedern zu sehen. Er selbst hält dabei eine Fahne der Organisation. Als Logo nutzen die »Vanguard America« einen Adler, der in seinen Krallen ein Rutenbündel mit einer Axt trägt – laut SPLC ein Symbol der italienischen Faschisten.

Auch ansonsten lässt der Tatverdächtige keine Zweifel an seiner rechtsradikalen Ideologie aufkommen: Über sein Facebookprofil verbreitete er Fotos, Videos und Beiträge der Alt-Right-Bewegung, darunter auch Aufnahmen von Soldaten mit Hakenkreuzen, ein Foto von Hitler als Baby sowie von Pepe dem Frosch. Die ursprünglich harmlose Comicfigur wurde von Rechtsradikalen gekapert und als Hasssymbol aufgebaut. Doch Charlottesville zeigte, dass sich US-Rassisten inzwischen stark und sicher genug fühlen, um auch auf der Straße für ihr »weißes Amerika« zu kämpfen.

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