Streik in israelischer Atomanlage: Vernachlässigte Patrioten
Angestellte der Reaktoranlage Dimona wollen mehr Lohn und Ausgleich für die harten Bedingungen in der Wüste
Der geheimste Ort Israels liegt, von Weitem sichtbar, in der Wüste Negev: Grau erhebt sich eine jener Betonkuppeln, die weltweit das Symbol für Atomkraftwerke sind, aus der steinigen Landschaft. Doch was dort geschieht, darüber dringt nur selten etwas nach außen.
In den 80er Jahren erregte Mordechai Vanunu Aufsehen, als er der britischen »Sunday Times« im Detail schilderte, wie dort Atomwaffen hergestellt werden; nach einer spektakulären Mossad-Operation wurde er dafür zu 18 Jahren Haft verurteilt. Vor einigen Jahren sorgte dann die Meldung für Aufruhr, in der Anlage, die heute offiziell als »Forschungsreaktor« bezeichnet wird, bröckele es an allen Ecken und Ende. Und nun: ein Streik. In Dimona. »Es ist das erste Mal, dass mich in diesem Lande etwas richtig erstaunt«, sagt Zehawa Gal-On, Abgeordnete der linksliberalen Partei Meretz. »Ich dachte immer, dass da schon allein wegen der Sicherheitsprüfungen nur Leute arbeiten, denen die Bezahlung egal ist.«
Dass die Öffentlichkeit überhaupt von dem Ausstand erfahren hat, liegt daran, dass die Regierung nun beim Obersten Arbeitsgericht in Jerusalem eine Verfügung beantragt und erhalten hat, die den Angestellten die Rückkehr zur Arbeit befiehlt und überdies die Kündigung auf unbestimmte Zeit verbietet: Es ist das erste Mal überhaupt seit der Unabhängigkeit des Landes, dass eine Regierung von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Die Regelung beruht auf einer Verordnung der britischen Mandatsverwaltung in den 30er Jahren und sollte damals die vielen Streiks im Mandatsgebiet unterbinden.
Regierungschef Benjamin Netanjahu betont dabei, er habe keine andere Wahl gehabt; der Streik gefährde die nationale Sicherheit. Der Gewerkschaftsdachverband Histadruth indes hält dagegen, die Angestellten hätten im Laufe des Streiks stets jene Arbeiten ausgeführt, die für den sicheren Betrieb der Anlage erforderlich seien. Zudem verweist man darauf, dass der Streik bereits seit mehreren Monaten andauere, ohne dass die Regierung versucht habe, den Ausstand zu unterbinden.
Ausländischen Schätzungen zufolge wurden in Dimona seit den 60er Jahren mehr als 100 Atombomben hergestellt; Israels Regierung bestätigt traditionell nicht, dass man im Besitz von Nuklearwaffen ist. Doch trotz der immensen Bedeutung der Einrichtung erhalten die Beschäftigten dort nach Angaben der Histadruth rund 25 Prozent weniger Lohn als Beschäftigte der Geheimdienste Mossad und Schin Beth mit vergleichbarer Qualifikation. Gleichzeitig sind die Arbeits- und Lebensbedingungen mitten in der Wüste schlechter. Lange Zeit nahmen die Beschäftigten dieses Gefälle hin: Wer in Dimona einen Job erhält, wurde zuvor auf Herz und Nieren geprüft, auf absoluteste Verschwiegenheit eingeschworen. Das Problem dabei sei, dass der grenzenlos scheinende Patriotismus, die Leidensbereitschaft der Mitarbeiter dazu geführt haben, dass die Regierung die Anlage und ihre Belegschaft vernachlässigt habe, sagt der Ex-Verteidigungsminister und ehemalige Histadruth-Chef Amir Peretz: »Lange Zeit hatte auch die Gewerkschaft dort keinen Fuß in der Tür. Die Leute dort waren so überzeugt, dass sie alles hingenommen haben.«
Mitarbeiter der Histadruth berichten, dies habe sich erstmals geändert, nachdem Schin Beth, Mossad, aber auch hoch spezialisierte Militäreinheiten damit begannen, Gehälter zu zahlen, die mit denen im privaten Sektor vergleichbar sind. In Dimona indes blieb man als promovierter Atomphysiker auf dem Gehaltsniveau eines Finanzbeamten der mittleren Ebene. »Sie können sich sicherlich vorstellen«, so die Mitarbeiter, »was Reinigungs- und Handwerkskräften dort bezahlt wird. Man will für die jahrelangen Entbehrungen anständig behandelt werden.«
Dass die Regierung nun, nach Monaten, den ungewöhnlichen Gang vor Gericht gewählt hat, liegt wohl vor allem daran, dass nach Angaben der Histadruth eine Kündigungswelle bevorstand: Denn in Verhandlungen gab sich Jerusalem unnachgiebig. Die Gewerkschaft indes feiert dennoch einen Erfolg: Zum ersten Mal überhaupt hat man in einer Behörde mit Hochsicherheitsstufe einen Betriebsrat organisieren können. Wie es nun weitergehen soll: Daraus macht die Histadruth ein Geheimnis.
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