Leseprobe
Eine Europa-Armee?
Als die Idee zu diesem Buch Anfang 2016 entstand, war das sicherheitspolitische Umfeld Europas bereits vom Konflikt um die Ukraine und den Spannungen mit Russland, von der Flüchtlingskrise und dem blutigen Bürgerkrieg in Syrien geprägt ... Obwohl also absehbar war, dass die Frage der Verteidigungsfähigkeit nach Jahren der Eurokrise wieder stärker auf die europäische Agenda drängen würde, hat doch kaum jemand vorausgesehen, welche politische Bedeutung die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (GSVP) im Verlauf des Jahres 2016 erlangen würde. Diese Entwicklung wurde maßgeblich durch zwei historische Überraschungen verstärkt: den Sieg des Pro-Brexit-Lagers beim Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU am 23. Juni 2016 und den Sieg Donald Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen am 8. November 2016.
Die deutschen Sozialdemokraten setzen sich bereits seit vielen Jahren für eine weitere Europäisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein und haben das Ziel einer europäischen Armee ins Grundsatzprogramm der SPD von 2007 und in den Koalitionsvertrag von 2013 hineingeschrieben. Damit ist dieses Ziel offizielle Politik der Bundesregierung Merkel/Gabriel. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprach sich bei verschiedenen Gelegenheiten prominent und öffentlichkeitswirksam für die Schaffung einer europäischen Armee aus. Gleichwohl ist dieses Ziel in vielen Ländern Europas lange abgelehnt oder nicht ernst genommen worden: zum einen, weil eine Dopplung von Strukturen befürchtet wird, die zu einer Schwächung der NATO führen könnte. Zum anderen, weil der Abschied von den nationalen Kleinarmeen an den Kern staatlicher Souveränität zu rühren scheint und viele Mitgliedstaaten der EU eine entsprechende Integrationsleistung schlicht nicht zutrauen. All dieser Skepsis zum Trotz: Die Idee lebt.
Aus der Einleitung zu dem von Hans-Peter Bartels, Anna Maria Kellner und Uwe Optenhögel herausgegebenen Band »Strategische Autonomie und die Verteidigung Europas. Auf dem Weg zur Europäischen Armee?« (J.H.W. Dietz, 496 S., br., 24 €).
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