»Das deutsche Mietrecht ist das beste der Welt«
Stimmt das überhaupt? Aufklärung über die Mythen der Wohnungsdebatte. Teil 6 der nd-Serie »Muss die Miete immer teurer werden?«
Der drastische Mietanstieg in vielen Städten sowie Konflikte um Verdrängung haben die Wohnungsfrage zurück in die politischen Debatten und auf die Straße gebracht. Wie in kaum einem anderen Bereich unseres Alltags prallen hier existenzielle soziale Bedürfnisse und ökonomische Interessen einer marktförmig organisierten Wirtschaft aufeinander. Eine soziale Wohnungsversorgung – das zeigen die letzten 150 Jahre der kapitalistischen Urbanisierung – muss fast immer gegen private Gewinninteressen durchgesetzt werden. Wir stellen in dieser Serie in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung gängige Behauptungen in den gegenwärtigen wohnungspolitischen Auseinandersetzungen auf den Prüfstand.
»Wir haben ein starkes soziales Mietrecht – und das ist gerade in dieser Situation ein Segen. Der Kündigungsschutz verhindert, dass Menschen aus Wohnungen gedrängt werden können… Die Mietpreisbremse wird dazu beitragen, dass Mieten auch für Normalverdiener bezahlbar bleiben.« Heiko Maas (SPD), Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz
Wie wird argumentiert?
Nach Einschätzung des Deutsche Mieterbundes stellt »das geltende Mietrecht [...] im Wesentlichen einen gerechten Ausgleich zwischen Mieter- und Vermieterinteressen dar«. Ganz anders sieht diese die Wohnungswirtschaft, die hinter jeder Regulierung einen Eingriff ins Eigentumsrecht vermutet. So bezeichnete etwa Friedrich-Adolf Jahn, Präsident des Eigentümerverbandes Haus & Grund Deutschland, die Pläne der letzten Mietrechtsreform als »völlig unannehmbar und an Einseitigkeit und Marktfeindlichkeit unübertroffen«.
BefürworterInnen des Mietrechts verweisen immer wieder auf den Schutz vor Kündigungen und relativ strenge Begrenzungen für Mieterhöhungen in laufenden Verträgen. Kündigungen des Mietvertrages seien in der Regel nur bei groben Verstößen gegen den Vertrag und deutlichen Mietrückständen möglich. Mieterhöhungen und auch Modernisierungen könnten nur mit Zustimmung der MieterInnen umgesetzt werden. Zudem wurde 2015 von der Bundesregierung die Mietpreisbremse beschlossen, die bei angespannten Wohnungsmarktlagen die Mieten bei Abschluss eines neuen Mietvertrages kappen soll.
Was ist dran?
Der gesetzliche Mieterschutz in Deutschland hat tatsächlich eine lange Tradition, auch wenn hier im Gegensatz zu beispielsweise Frankreich und Spanien das Recht auf Wohnen nicht in der Verfassung verankert und der grundsätzlich gewährte Schutz der angemieteten Wohnung lückenhaft ist. So sind zum Beispiel Kündigungen bei Eigenbedarf der EigentümerInnen möglich oder bei geplanten Abrissen. Studien der letzten Jahre belegen, dass EigentümerInnen vor allem dann von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch machen, wenn sie sich davon höhere Erträge versprechen.
In angesagten Berliner Bezirken hat es zum Beispiel mehrere Fälle gegeben, in denen VermieterInnen Angebote der Verwaltung zur Mietschuldenübernahme abgelehnt haben, weil ihnen eine Räumung und anschließende Neuvermietung ökonomisch reizvoller erschienen. Das Mietrecht bietet hier nur einen unvollständigen Schutz. Selbst in Fällen, in denen Mietrückstände auf Fehler bei der Zahlung der Kosten der Unterkunft durch die Jobcenter zurückgehen, sind Kündigungen und Räumungen möglich.
Die 2015 zuerst im Bundesland Berlin eingeführte »Mietpreisbremse« ist ein weiteres Beispiel für die Grenzen des Mietrechts. Die Grundidee des Bundesgesetzes war, in Städten mit angespannten Wohnungsmärkten Mietsteigerungen einzudämmen. Bei Neuvermietungen sollen Mieten künftig in gefragten Gegenden nur noch maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen dürfen. Klingt erst einmal nicht schlecht, hat aber mehrere Haken.
So sieht das Gesetz eine Reihe von Ausnahmen vor, sodass die Auflagen ausgerechnet bei verdrängungsrelevanten Modernisierungsmaßnahmen, nach der Umwandlung in Eigentumswohnungen und im Neubau nicht greifen. Zudem gibt es eine Art Bestandschutz für bereits teuer vermietete Wohnungen. Wenn schon der Vormieter zu viel gezahlt hat, kann auch teuer wiedervermietet werden. Hier hat die Wohnungswirtschaft ganz offensichtlich ihre Interessen geltend gemacht.
Unabhängig davon verfehlt die »Mietpreisbremse« das Ziel einer sozialen Wohnungsversorgung. Um es ganz simpel zu sagen: Haushalte mit unterdurchschnittlichen Einkommen brauchen Wohnungen zu unterdurchschnittlichen Mietpreisen. Mit einer Kappung knapp über dem Durchschnitt nutzt die »Mietpreisbremse« nur den Besserverdienenden, schafft aber keine zusätzlichen Wohnungsangebote für das untere Einkommensdrittel.
Das größte Problem allerdings sind die mangelnden Kontroll- und Sanktionsinstrumente. Was macht man in einer Stadt wie Berlin, wo Untersuchungen zufolge 85 Prozent aller Neuvermietungen zu Preisen oberhalb der Grenzwerte erfolgen, EigentümerInnen sich also nicht an das Gesetz halten oder es umgehen, indem sie etwa »möblierte Wohnungen« anbieten, bei denen die »Mietpreisbremse« nicht greift? Hier hilft unter den gegebenen Bedingungen nur, dass MieterInnen ihr Recht wahrnehmen, gegen eine zu hohe Miete zu klagen. In einzelnen Fällen war dieser Weg bereits erfolgreich. Doch diese individuelle juristische Interventionsmöglichkeit ist nicht allen gleichermaßen zugänglich, sodass bestehende gesellschaftliche Benachteiligungen sogar bei der Durchsetzung des Mietrechts reproduziert werden.
Insgesamt zeigt sich: In Häusern, bei denen es für EigentümerInnen und Investoren ums große und schnelle Geld geht, wirkt das Mietrecht nicht wie vom Gesetzgeber intendiert als Rahmen des Interessenausgleichs. Die Kaskaden aus Abmahnungen, Kündigungen und einstweiligen Verfügungen sind eben nicht darauf gerichtet, einen eigenen Vorteil innerhalb eines Vertragsverhältnisses durchzusetzen, sondern darauf, das Vertragsverhältnis selbst zu beenden. Das Mietrecht verwandelt sich dabei von einem Schutzinstrument zu einem Instrument der Entmietung und Verdrängung.
Fazit
Der Mieterschutz in Deutschland ist lückenhaft. Das zeigt auch die neu eingeführte »Mietpreisbremse«, die in der Praxis nicht sanktioniert werden kann. Das System der Kappung knapp über der Durchschnittsmiete würde zudem, wenn es denn greifen sollte, vor allem Haushalten mit durchschnittlichen Einkommen zugutekommen.
Andrej Holm ist Sozialwissenschaftler und zählt zu den prominetesten Experten eines kritischen Blicks auf Stadterneuerung, Gentrifizierung und Wohnungspolitik. Von ihm ist unter anderem erschienen: »Mietenwahnsinn. Warum Wohnen immer teurer wird und wer davon profitiert« (bei Knaur, München). Die Serie ist zuerst als Heft Nummer 15 in der Reihe »luxemburg argumente« der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen. Sie kann unter rosalux.de kostenlos heruntergeladen werden.
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