»Es gibt kein Recht auf Wohnen in der Innenstadt«
Wie bitte? Aufklärung über die Mythen der Wohnungsdebatte. Teil 7 der nd-Serie »Muss die Miete immer teurer werden?«
Der drastische Mietanstieg in vielen Städten sowie Konflikte um Verdrängung haben die Wohnungsfrage zurück in die politischen Debatten und auf die Straße gebracht. Wie in kaum einem anderen Bereich unseres Alltags prallen hier existenzielle soziale Bedürfnisse und ökonomische Interessen einer marktförmig organisierten Wirtschaft aufeinander. Eine soziale Wohnungsversorgung – das zeigen die letzten 150 Jahre der kapitalistischen Urbanisierung – muss fast immer gegen private Gewinninteressen durchgesetzt werden. Wir stellen in dieser Serie in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung gängige Behauptungen in den gegenwärtigen wohnungspolitischen Auseinandersetzungen auf den Prüfstand.
»Ich glaube, eine Stadt muss es auch aushalten, dass es Stadtteile gibt, in denen eben nicht jeder wohnen kann.« Heinrich Stüven, Vorsitzender des Grundeigentümer Verbandes Hamburg
Wie wird argumentiert?
In vielen Städten wird den Protesten von MieterInnen gegen Verdrängung entgegengehalten, es sei kein Drama und von daher auch zumutbar, umzuziehen und in anderen, notfalls auch weniger zentral gelegenen Vierteln der Stadt zu wohnen. Preisunterschiede in Städten seien auf unterschiedlichen Lagequalitäten zurückzuführen. Wer sich steigende Mieten aus eigener Tasche nicht mehr leisten könne, der oder die dürfe nicht von der Solidargemeinschaft verlangen, dass diese Mieten für arme Haushalte gerade in besonders nachgefragten Lagen subventioniere. Auch ein Wohnungsbau im Zentrum habe nur begrenzte Wirkung, weil die Wohnungen in den attraktiven Lagen nicht für alle reichen werden, die dort wohnen wollen. Regeln wird diesen Verteilungskonflikt vor allem der Markt: »Wer beim Preis nicht mithalten kann, hat zwar ein Recht auf Wohnen – aber nicht im Zentrum.«
Was ist dran?
Tatsächlich gibt es keinen juristischen Anspruch, in bestimmten Teilen der Stadt zu wohnen. In Deutschland gibt es nicht einmal ein gesetzlich garantiertes Recht auf Wohnen. Insofern sind die gegen ein Recht auf innerstädtisches Wohnen gerichteten Aussagen als Polemik zu verstehen. Mit ihnen sollen Positionen und Initiativen, die die Verdrängungsprozesse in vielen Städten kritisieren und sich diesen entgegenstellen, diskreditiert werden. Ansprüche auf eine sichere, angemessene und dauerhaft finanzierbare Wohnung lassen sich allerdings aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und aus dem von Deutschland ratifizierten UN-Sozialpakt von 1966 ableiten. Es käme nun darauf an, in den gegenwärtigen Debatten stark zu machen, dass Wohnen mehr ist als ein Dach über dem Kopf.
Wie existenziell wichtig Nachbarschaftsbeziehungen und das unmittelbare soziale Umfeld insbesondere für ärmere Haushalte sowie kranke, ältere und andere in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen sind, ist schon länger bekannt und wird von wissenschaftlichen Studien immer wieder bestätigt. Ein erzwungener Umzug ist oft mit dem Verlust von vertrauten Strukturen, sozialen Netzwerken und anderen Ressourcen verbunden, die für die Bewältigung des Alltags unerlässlich sind.
Unter dem vor allem in sozialen Bewegungen diskutierten »Recht auf Stadt« werden Ansprüche von denen zusammengefasst, die strukturell und systematisch von den Vorteilen des gesellschaftlichen Reichtums ausgegrenzt werden. In dieser Perspektive stellt das »Recht auf Innenstadt« die Prozesse der Verdrängung infrage und reklamiert ein »Recht aufs Bleiben« von all jenen, die schon seit langer Zeit an einem Ort leben, dort eine Gemeinschaft und soziale Netzwerke aufgebaut und nicht 25 selten durch ihre aktive Aneignung und Gestaltung der Umgebung zum guten Ruf ihrer Nachbarschaft oder ihres Viertels beigetragen haben. Wenn wir davon ausgehen, dass immobilienwirtschaftliche Lagen nicht nur aus geografischen Koordinaten bestehen, sondern auch die Lebensqualitäten der Umgebung und die Stimmung in einer Nachbarschaft umfassen, dann ist Verdrängung aus einem bestimmten Wohnumfeld gleichbedeutend mit der Enteignung der Verdrängten von den von ihnen erschaffenen Lebensqualitäten.
Fazit
Es gibt kein juristisches Recht auf die Innenstadt, es gibt aber auch kein Recht darauf, ausgerechnet in den Vierteln der Ärmsten die größten immobilienwirtschaftlichen Gewinne zu erzielen.
Andrej Holm ist Sozialwissenschaftler und zählt zu den prominetesten Experten eines kritischen Blicks auf Stadterneuerung, Gentrifizierung und Wohnungspolitik. Von ihm ist unter anderem erschienen: »Mietenwahnsinn. Warum Wohnen immer teurer wird und wer davon profitiert« (bei Knaur, München). Die Serie ist zuerst als Heft Nummer 15 in der Reihe »luxemburg argumente« der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen. Sie kann unter rosalux.de kostenlos heruntergeladen werden.
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