Wo alle Wege zum Frauenplan führen

Wie Weimar seinen Goethe vermarktet - ein Rundgang zwischen Gedenktafeln, Droschken und jeder Menge Nippes

  • Doris Weilandt, Weimar
  • Lesedauer: 5 Min.

Touristen, Touristen und nochmals Touristen. Sie laufen in großen und kleinen Gruppen vom Goethehaus am Frauenplan über den Markt zum Weimarer Schloss. Unterwegs erzählen ihnen Stadtführer Geschichten aus dem Leben des Dichters und über seine Beziehungen zu Charlotte von Stein, zu Anna Amalia, zu Herder oder zu Corona Schröter, der zentralen Figur seines Liebhabertheaters.

Kaum ein Haus gibt es hier, das Goethe nicht betreten, kaum einen Ort, den er nicht mit ein paar Zeilen bedacht hätte. Schon zu seinen Lebzeiten strömten ausländische Besucher ins von Madame de Staël zur »literarisch-gelehrten Hauptstadt« der deutschen Lande erhobene Weimar. Dem Charme der poetischen Hinterlassenschaft erliegt auch heute fast jeder. »Oh beautiful«, »ô joie« entfährt die Bewunderung den staunenden Touristen beim Rundgang durch die mythologisch aufgeladene Stadt. Die Schatten des Ettersbergs mit seinen Lagerresten sind nicht zu spüren. Unwillkürlich denkt man an, natürlich, Goethe: »Ei, so habt doch endlich einmal die Courage, euch den Eindrücken hinzugeben, euch ergötzen zu lassen, euch erheben zu lassen, euch zu etwas Großem entflammen zu lassen und ermutigen zu lassen«. Die euphorischen Zeilen schrieb er wenige Jahre vor seinem Tod.

Auf die Frontmänner Goethe und Schiller kann beim Stadtmarketing in Weimar einfach nicht verzichtet werden. Mit dem Blick auf das 100. Jubiläum der Gründung des Bauhauses in Weimar anno 1919 wird zwar gerade versucht, die Moderne in den Blick zu nehmen. Bedeutend genug ist das allemal - und vielleicht gerade heute ist die Internationalität der legendären Gestaltungshochschule auch überaus zeitgemäß. Und trägt nicht die örtliche Universität den Namen des Bauhauses - nicht den Goethes oder Schillers? Weimar, Stadt des Modernismus? Es ist nicht so, dass die Verantwortlichen etwas gegen diese Traditionen hätten, im Gegenteil. Doch wissen sie auch: Bei aller Weltgeltung fehlen der kühlen Sachlichkeit der in Weimar begründeten Gestaltungstradition der Moderne die emotionalen Werte, mit denen sich ein Massenpublikum anlocken lässt. Und - per definitionem - jedes Verkitschungspotenzial.

Auch die Thüringer Tourismusstrategen setzen inzwischen voll auf das Dichterpaar und haben ein Bild des berühmten Weimarer Denkmals an die Autobahn gestellt. Statt des Lorbeerkranzes halten die beiden gemeinsam das Schild: »Thüringen - entdecken.de«. Goethe und Schiller im Look des 21. Jahrhunderts - plakativer geht Werbung kaum, aber sie scheint zu wirken. Allein die Übernachtungszahlen in Weimar steigen Jahr um Jahr. Goethe ist natürlich auch bei diesem Phänomen um keine Antwort verlegen: »Es hört doch jeder, was er versteht«.

Selbst am Haus des ACC - des noch zu DDR-Zeiten gegründeten »Alternativen Cultur Centrums« - am Burgplatz steht es in Stein gemeißelt: »Hier wohnte Goethe 1776-1777«. Also für ein ganzes Jahr! Auch diese Galerie, die als eine der wenigen in Thüringen mit zeitgenössischer Kunst ein internationales Publikum anzieht, kann oder will auf etwas Goethespirit offenbar nicht verzichten.

In seinen ehemaligen Wohnräumen in diesem Haus wird gerade »A Romance with Revolution« gezeigt. Anlässlich des 100. Jahrestages der Oktoberrevolution gehen Künstler verschiedenster Länder der Frage nach der Faszination von Umsturz und Revolte nach. Was aber ist das schon gegenüber einem vom Goethegeist durchdrungenen Keller?

Dortselbst nämlich soll Goethe nach seiner Entscheidung für Weimar seinen ersten eigenen Weinkeller eingerichtet haben, wozu er sich einen größeren Posten rheinischen Weins kommen ließ! Das hat Volker Wahl, langjähriger Direktor des Thüringer Hauptstaatsarchivs, bei der Beschäftigung mit diesem kurzzeitigen Mietverhältnis festgestellt. Der Genius Loci wirkt nun im Restaurant weiter fort. Draußen derweil Hufgeklapper. Gut gefüllte Droschken rollen vorbei. Auf der Fahrt natürlich zum Frauenplan, wohin in Weimar irgendwie eben alle Wege führen.

Ausgeschöpft sind die Möglichkeiten tourismusrelevanter Goetheforschungen damit indes noch lange nicht. Wie ist das etwa mit den Hunden? Streunt nicht Mephisto im »Faust« zunächst als Pudel umher? Stand nicht ein Streit über Hunde auf der Bühne anno 1817 mit am Ende seiner Direktorenschaft am Weimarer Theater - und hatte er nicht dennoch einst gedichtet: »Dem Hunde, wenn er gut erzogen, wird selbst ein weiser Mann gewogen«? Es müssten sich doch Orte finden lassen, die des Dichterfürsten gebrochenes Verhältnis zum kläffenden Vierbeiner illustrieren könnten. Dann ließen sich auch neue Souvenirs kreieren.

Deren Palette ist freilich schon jetzt sehr breit. »Denn von oben kommt Verführung, wenns den Göttern so beliebt«, schreibt Goethe. Und der Verführungen gibt es viele im Weimar-Haus und Weimar-Shop: von der Kaffeetasse mit seinem Konterfei über Marmeladen mit so klingenden Namen wie »Zitronen für den Dichter«, bis hin zu Fingerhüten, den Köpfen von Goethe und Schiller als Salz- und Pfefferstreuer, aber auch Büsten in allen Größen. Für den gehobenen Geschmack gibt es Nachbildungen seines Wasserglases, Barometers oder Federkiels in zahlreichen Varianten.

»Fühlst du nicht an meinen Liedern, daß ich Eins und doppelt bin?«, schreibt Goethe in einem Gedicht an Marianne von Willemer aus dem Jahr 1815. Auch aus einer sinnlichen Beziehung, die er über ein Ginkoblatt zu dieser jungen Frau sprechen ließ, ist mittlerweile ein florierendes Geschäft geworden. Und so trägt schließlich jeder nach Hause, was er vom Dichter versteht.

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