Überschwemmungen in Texas: Lage bleibt dramatisch

Mehr Menschen und größere Fläche betroffen als bei Hurrikan »Katrina« / CNN spricht von 28 Todesopfern / Viele Betroffene nicht gegen Flutschäden versichert

  • Lesedauer: 5 Min.

Houston. Die Lage in den Überflutungsgebieten im US-Bundesstaat Texas bleibt dramatisch - obwohl der Sturm »Harvey« weiter an Stärke verloren hat. Während sich die Situation in der Millionenmetropole Houston etwas verbesserte, kämpften die Städte Beaumont und Port Arthur mit steigenden Wasserpegeln. »Harvey« sollte östlich von Texas weiter durch Louisiana ziehen und am Donnerstag Mississippi erreichen, wie der nationale Wetterdienst mitteilte.

Das Hurrikan-Zentrum stufte den Sturm zwar inzwischen weiter herunter, warnte aber noch immer vor lebensbedrohlichen Bedingungen. Auch Tennessee und Kentucky rüsteten sich für mögliche Überschwemmungen. Die Zahl der Toten in Texas stieg weiter: Inoffizielle Schätzungen gingen von mehr als 20 Todesopfern aus, der Sender CNN etwa sprach von mindestens 28.

Die US-Marine kündigte an, am Donnerstag die Schiffe USS Kearsarge und die USS Oak Hill vor die Küste von Texas zu schicken. Sie sollen dort die örtlichen Behörden bei den Bergungs- und Rettungsarbeiten unterstützen.

Houston wurde am Mittwoch von weiteren schweren Regenfällen verschont; erstmals schien dort wieder die Sonne. Eine echte Entspannung der Lage war aber nicht in Sicht, auch wenn die Pegel leicht sanken. Schätzungen zufolge stand ein Drittel der Stadt unter Wasser. Rettungskräfte kämpften sich am fünften Tag in Folge von Haus zu Haus, um Bewohner aus den überfluteten Straßen zu retten.

In Beaumont und Port Arthur fielen innerhalb von 24 Stunden 66 Zentimeter Regen pro Quadratmeter. Beide Orte liegen nahe der Grenze zu Louisiana - also in der Gegend, wo »Harvey« in der Nacht zum Mittwoch zum zweiten Mal auf Land getroffen war.

In Port Arthur, das rund 160 Kilometer östlich von Houston entfernt ist, musste die größte Ölraffinerie der USA geschlossen werden. Eine Notunterkunft stand unter Wasser, sie wurde evakuiert. Manche Einwohner der Stadt fanden Zuflucht in einem Bowlingcenter, wie der Sender CNN berichtete. Die Behörden verhängten eine Ausgangssperre, die von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr (Ortszeit) gelten sollte.

In Louisiana traten die Flüsse Calcasieu und Sabine Rivers in einigen Gegenden über die Ufer. Straßen mussten wegen Überflutungen gesperrt werden. Der Bundesstaat schien am Mittwoch aber zunächst von dem Schlimmsten verschont zu bleiben. Gouverneur John Bel Edwards erklärte, die Lage sei ernst, aber man stehe bislang besser dar, als es befürchtet worden war. Der Wetterdienst erwartete aber schwere Regenfälle in der Nacht. In einigen Bezirken wurde vor Sturzfluten gewarnt.

»Harvey« war am Freitag erstmals in Texas auf Land getroffen; seither kämpft die Gegend mit den verheerenden Folgen. Binnen weniger Tage fielen in dem Cowboy-Staat mancherorts bis zu 125 Zentimeter Regen pro Quadratmeter - ein Rekord für das Festland der USA. Zahlreiche Flüsse, darunter der Colorado, traten über die Ufer, Stauseen ergossen ihre Fluten über die Dämme. Einige Dämme wurden zur Entlastung bewusst geöffnet, was zu weiteren Überschwemmungen führte.

Rettungskräfte bargen in den vergangenen Tagen rund 8500 Menschen aus ihren Häusern; mehr als 30.000 suchten Zuflucht in Notunterkünften. 14.000 Mitglieder der texanischen Nationalgarde waren im Einsatz. Weitere 10.000 wurden aus anderen Bundesstaaten entsandt.

Katastrophengebiet größer als bei den Hurrikans »Katrina« und »Sandy«

Der texanische Gouverneur Greg Abbott sagte, das Katastrophengebiet sei viel größer, als es bei den Hurrikans »Katrina« und »Sandy« der Fall gewesen sei. Die Kosten für den Wiederaufbau nach dem Tropensturm »Harvey« könnten nach Einschätzung des texanischen Gouverneurs deswegen »weit höher« liegen als nach dem Hurrikan »Katrina« 2005. Abbott rechne mit einer deutlich höheren Summe als die Nothilfe von 125 Milliarden Dollar (105 Mrd Euro), die damals zur Verfügung gestellt wurde, berichtete das »Wall Street Journal«. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) errechnete mögliche Schäden von fast 58 Milliarden Dollar (48,7 Mrd Euro), Schäden etwa durch den Ausfall von Anlagen nicht mitgerechnet.

Von den Folgen des Tropensturms seien auch viel mehr Menschen betroffen. Mehr als 80 Prozent der Betroffenen sind nach einer Erhebung der »Washington Post« nicht gegen Flutschäden versichert. Die marktüblichen Versicherungstarife deckten nur Schäden durch Wind wie abgedeckte Dächer ab, nicht aber Verwüstungen durch Hochwasser. Versicherungsexperten schätzen die entstandenen Sachschäden inzwischen auf einen zweistelligen Milliardenbetrag. Manche Experten gehen davon aus, dass der Wiederaufbau Jahre dauern könnte.

Die schweren Verwüstungen waren nach Angaben von Kritikern auch durch eine verfehlte Baupolitik in der Gegend um Houston möglich geworden. Einst als Überlaufgebiete für Hochwasser vorgesehen, wurden große Bereiche in den vergangenen Jahrzehnten zugebaut, um dem großen Bevölkerungswachstum Rechnung zu tragen. Texas ist für seine extrem niedrigschwellige Regulierungspolitik bekannt. Erst im Mai hatte Gouverneur Abbott ein Gesetz unterzeichnet, das es Versicherungen erleichtert, Forderungen von Kunden etwa bei Hagelschäden abzuweisen. Abbott verteidigte diese Entscheidung. Den Versicherungsnehmern entstünden keine Nachteile, sagte er.

Als Ausgleich für fehlende Versicherungsangebote hatte die US-Bundesregierung 1968 ein National-Flood-Insurance-Programm aufgelegt. So können Menschen in potenziellen Überflutungsgebieten eine vom Staat garantierte Versicherung abschließen. Das Programm war ursprünglich so angelegt, dass es sich selbst finanzieren sollte. Bis 2004 erwirtschaftete es sogar Überschüsse. In der Zwischenzeit gibt es jedoch so viele Flutereignisse in den USA, dass der Steuerzahler zuschießen muss. Das Programm ist deshalb in der Diskussion.

Neben den sichtbaren Schäden an Häusern, Fahrzeugen und Straßen dürfte »Harvey« auch »unsichtbare« Schäden in Milliardenhöhe verursacht haben. So ging etwa der Benzinpreis in den USA deutlich nach oben, weil wichtige Raffinerien in Texas stillstanden. Dies wiederum verursachte auch einen Einbruch der ohnehin unter Druck geratenen Rohölpreise, weil Raffinerien und andere Ölverarbeiter seit Tagen als Abnehmer ausfallen. Die Folgen sind noch nicht absehbar.

US-Präsident Donald Trump, der am Dienstag einen umstrittenen Besuch in den Flutgebieten um Corpus Christi absolviert hatte, will weitere Regulierungen auf Bundesebene abbauen. In seinem Haushaltsvorschlag im Frühjahr hatte er unter anderem Kürzungen beim Wohnungsbauministerium und bei der Katastrophenschutzbehörde FEMA angekündigt. Das Ministerium ist für den Wiederaufbau zuständig. Auch die Klimaforschung soll zurückgefahren werden.

Trump hatte ferner erst am 15. August eine Direktive unterzeichnet, in der er die unter seinem Vorgänger Barack Obama verfügte Verpflichtung, beim Bau von Infrastruktur-Projekten auch Flutvorkehrungen mit zu bedenken, zurückfuhr. dpa/nd

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